Die Leser-Anwältin Der Umgang mit anonymen Zuschriften
Der Brief an die Redaktion war ausgesprochen höflich formuliert. Der Schreiberin („treue Leserin der Volksstimme“) ging es um eine Frage zum Schulgesetz, die man aufgreifen möge. Aber: Sie wolle anonym bleiben, hatte den Namen auch nirgends vermerkt.
Wie geht die Volksstimme-Redaktion damit um, wenn jemand ungenannt bleiben will? Hier muss man zwei Ebenen betrachten: 1. Die Kontaktaufnahme zur Redaktion und 2. die Berichterstattung. Anonyme Leserbriefe landen zu 100 Prozent im Papierkorb. Andere anonyme Zuschriften sichten wir. Ab und zu bergen sie Hinweise, die sich unabhängig von der Kenntnis der Tippgeber für eine eigene Recherche aufgreifen lassen. In jedem Fall müssen Journalisten sehr sorgfältig prüfen, woher eine Information stammt, wie plausibel und wie zuverlässig sie ist. Das zu erfahren, ist auch für Leser wichtig, daher gehören Angaben dazu in der Regel auch in die spätere Berichterstattung, der zweiten Ebene. Da wird es richtig verzwickt.
Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu bestimmen, ob sein Name genannt werden darf. Die Redaktion muss zwar wissen, mit wem sie es zu tun hat – sie muss ihre Quelle aber auch schützen, soll sie nicht versiegen. Will eine Person anonym bleiben, muss die Redaktion dies respektieren und wiederum für sich entscheiden: Verzichten wir ganz auf den Beitrag? Oder ist das Thema wichtig, für seine Darstellung jedoch unerheblich, wie ein konkreter Betroffener heißt? Das ist meist der Fall bei den sehr persönlichen Problemen, mit denen sich Menschen an die Leseranwältin wenden.
Oder handelt es sich um ein brisantes Thema, das zwingend in die Öffentlichkeit gehört, wo Informanten aber persönliche und/oder berufliche Nachteile erleiden würden, wären sie öffentlich bekannt? Dann muss die Redaktion dafür sorgen, dass durch nichts auf die Identität geschlossen werden kann. Selbst Gerichte können sie nicht zwingen, Quellen offenzulegen, denn Journalisten haben ein Zeugnisverweigerungsrecht (u.a. § 53 Strafprozessordnung).