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Leseranwältin Wir ermitteln und urteilen nicht

05.11.2023, 18:08
Leseranwältin Heike Groll
Leseranwältin Heike Groll VS

Einen Kauf zu tätigen oder eine Dienstleistung zu beauftragen, das funktioniert meist reibungslos.

Wenn es aber zwischen Kunden und Anbietern doch schiefläuft, ist der Ärger groß. So ging es einem Volksstimme-Leser, der vermutet, durch einen Betrug geschädigt worden zu sein, und nun per Zeitungsanzeige weitere Betroffene suchen wollte. Ob sein Text in Ordnung sei, möchte er wissen. In dem Entwurf ist ausdrücklich von Betrug die Rede, der Name des potenziellen Täters wird genannt. Verständlich ist das Anliegen des Lesers allemal.

Veröffentlichen dürfen wir eine solche Mitteilung aber weder im redaktionellen Teil noch als Annonce. Für die Journalisten wie für die Anzeigenberater eines Medienhauses gilt: Wir sind keine Polizisten, Staatsanwälte oder gar Richter. Wir ermitteln und urteilen nicht im juristischen Sinne. Steht der Verdacht einer Straftat wie zum Beispiel Betrug im Raum, so dürfen wir unter bestimmten Bedingungen darüber zwar berichten.

Doch dann müssen wir deutlich sagen, dass es um einen Verdacht und keine bereits bewiesene Tatsache geht – so lange gilt die Unschuldsvermutung. Mehr noch: Jemanden als Straftäter zu bezeichnen, ist ein schwerer Vorwurf. Wer ihn erhebt oder verbreitet, kann sich unter Umständen selbst etwa der üblen Nachrede nach Paragraf 186 des Strafgesetzbuches strafbar machen, wenn in einem (späteren) Strafverfahren nicht nachgewiesen werden kann, dass der Vorwurf zutrifft.

Ob tatsächlich kriminelles Verhalten vorliegt, das können also nur Gerichte entscheiden, und das aus gutem Grund. Alles andere liefe darauf hinaus, dass Medien als moderne Pranger fungieren würden, jeder jederzeit einem anderen ohne Beweis eine Straftat unterstellen könnte (oder selbst damit rechnen müsste, öffentlich beschuldigt zu werden) und alsbald die Selbstjustiz regieren würde. Der beste Weg im Verdachtsfall ist: der Gang zur Polizei.