coronavirus Läutet Corona das Ende des Händeschüttelns ein?
Umarmungen, Küsschen und der Handshake auf dem Büro-Flur. Grußformen sind teils Jahrhunderte alte, in unserem Kulturkreis fest verankerte Tradition. Schafft Corona diese nun für immer ab? Die Volksstimme sprach mit einer Soziologin der Uni Magdeburg und einer Psychologin der Uni Halle-Wittenberg.
Magdeburg/Halle - Sie waren Teil unseres Lebens und lösten sich vor anderthalb Jahren scheinbar in Luft auf: Händeschütteln unter Kollegen oder Umarmungen unter Freunden. Seit die Corona-Pandemie über die Welt fegt, heißt es: Abstand halten.
Laut einer Umfrage des MDR wollen 86 Prozent der Befragten künftig weniger Hände schütteln, als noch vor Corona. Verständlich. Immerhin gilt das Jahrhunderte alte Ritual quasi als Virenschleuder.
Wie wichtig sind Grußformen?
"Der Handschlag hat einen ganz starken, symbolischen Wert in unserer Kultur", sagt Annegret Wolf vom Institut für Psychologie an der Universität Halle-Wittenberg der Volksstimme. "Der Handshake sagt auch: Ich bin bereit, meine Keime mit dir zu teilen und du deine mit mir". Früher ein Weg, Vertrauen beim Gegenüber zu erzeugen. Dieser Tage ein abschreckender Gestus. Und das, obwohl Handshake und Umarmung gesund für uns sind. "Jede erwünschte Berührung von Freunden oder Kollegen schüttet ein Cocktail an Glücksbotenstoffen aus, wie Dopamin oder das Kuschelhormon Oxytocin. Es wirkt stressabbauend und stärkt die Bindung zum Gegenüber."
Der Mensch brauche regelrecht körperliche Nähe, sagt auch Heike Ohlbrecht vom Institut für Gesellschaftswissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. "Der Mensch ist ein soziales Wesen und auf den Austausch mit anderen Menschen, auch hinsichtlich von Körperkontakten, angewiesen."
Soziologisch betrachtet sei der Handshake, laut Ohlbrecht, für unseren Kulturkreis eine bedeutungsvolle, eine kulturell eingeübte Geste der friedensstiftenden Begegnung. "In Bruchteilen von Sekunden ordnen wir einen Händedruck als fest, flüchtig, warm und angenehm oder eben nicht ein und registrieren, ob dieser mit Blickkontakt begleitet wird." Und weiter: "Der Handschlag ist eine Geste, die Nähe und Distanz herstellt."
Solche Traditionen seien wichtig für das soziale Miteinander, so Ohlbrecht. Traditionen würden kulturelle Erbe umfassen, über Generationen weitergetragen und hätten Einfluss auf die Bildung sozialer Gruppen. Ohlbrecht: "Normen und Werte [...] unterstützen uns bei der Orientierung im Alltag, bei der Abwägung des eigenen Handelns und bei der Erwartung und Einschätzung des Handelns von anderen Personen."
Comeback des Handschlags nach der Pandemie?
Kommt der Handschlag also wieder zurück? Aktuell schwer abzusehen. Kulturell zumindest zeigt sich, wie wichtig Begrüßungstraditionen sind: Verzichtet man auf den Handschlag, kann das Irritation und sogar Unverständnis beim Gegenüber auslösen, sagt Annegret Wolf. Auf politischer Ebene werden mit dem Verweigern von Handshakes Statements gesetzt, die gar in der Lage sind, Gräben tiefer auszuhöhlen. Wolf: "Fraglich ob der Handschlag wieder kommt in diesen Zeiten."
Heike Ohlbrecht sagt dazu: "Vor der Corona-Pandemie war eine Entwicklung hin zu mehr Nähe und Körperkontakt zu beobachten, diese Entwicklung ist vorerst gestoppt." Sie gehe davon aus, dass wir nicht alsbald zu den alten Regeln zurückkehren, sondern uns einen bewussteren Umgang mit der Nähe aneignen würden.
Was tun bei Ablehnung?
Auf Dauer kann eine Distanz zwischen Menschen nicht gesund sein, weiß Heike Ohlbrecht. Nähe, Umarmungen und Berührungen seien "soziobiologische Grundbedürfnisse des Menschen". Also das Brot für die Seele.
Doch wie reagiere ich, wenn eine Freundin oder ein guter Bekannter auch künftig auf Umarmung und Küsschen verzichten möchte? Psychologin Annegret Wolf rät: "Es hilft offen darüber zu reden und das Verhalten des anderen zu akzeptieren." Wichtig in Pandemie-Zeiten, so Wolf, sei, ein nettes Lächeln bei der Begrüßung auf-, und die Sonnenbrille abzusetzen. "Blickkontakt ist in westlichen Kulturen ein Zeichen von Respekt und Höflichkeit", sagt die Psychologin.