Islam Mazyek: „Abschottung Weg der Angsthasen“
Mit Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime sprach die Volksstimme - auch über das gescheiterte Treffen mit der AfD-Spitze.
Volksstimme: Herr Mazyek, 80 Prozent der Menschen in Sachsen-Anhalt glauben nicht an Gott. Jetzt bringen viele Migranten eine Religion mit, die ihnen auch sehr wichtig ist. Können Sie verstehen, dass das Einheimische verstört?
Aiman Mazyek: Ja, weil es so viele Fehlinformation über den Islam gibt, kann ich das sehr gut verstehen. Ich glaube aber, dass jeder in der Lage ist, sich zu informieren.
Viele Ostdeutsche empfinden Glauben als Rückschritt, sie lehnen Religion ab.
Denen sage ich: Schaut auch die Welt an. Religionsfreiheit geht alle an, auch Atheisten. Aber wir erleben einen zunehmen aggressiven Atheismus, der mit missionarischem Eifer erklärt: Alles Religiöse muss weg. Das ist für mich Intoleranz und Nichtwahrung des Rechts auf Religionsfreiheit.
Sind Gläubige die besseren Staatsbürger?
Man kann ja Religion ablehnen. Aber intelligent und vernünftig ist es, Wissen darüber zu bekommen, zumal die meisten auf der Welt gläubig sind. Für die Gesellschaft ist es am Ende des Tages unerheblich, wie jemand die Werte Toleranz, Menschenrechte, Freiheit ableitet. Der Atheist, der Agnostiker, der Humanist, jeder hat da seinen Fundus. Der Christ, der Jude, der Muslim, jede und jeder leitet es aus seiner Heiligen Schrift ab. Das schreibe ich auch in meinem neuen Buch.
Was empfehlen Sie Islam-Unkundigen?
Wer wissen will, warum etwa muslimische Frauen das Kopftuch tragen, muss nachfragen und stellt dann fest: Auch für Muslime ist das, was im Kopf ist, wichtiger als das, was auf dem Kopf ist. Ihnen ist wichtig, dass die Kinder gut erzogen sind, dass sie eine Ausbildung haben, anständige Bürger sind. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Abschottung ist der Weg der Angsthasen.
Schulen in Sachsen-Anhalt haben Hunderte Flüchtlingskinder aufgenommen. Brauchen wir jetzt islamischen Religionsunterricht?
Bekenntnisgebundenen Unterricht zu erhalten, erklärt das Grundgesetz jedenfalls als verbrieftes Recht eines jeden Bürgers, ob das in Magdeburg ist oder in Köln. Wer das ändern will, sollte Ross und Reiter nennen und sagen: Ich kämpfe für diese Änderung und will eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag für ein laizistisches System.
Sachsen-Anhalts Bildungsminister sagt, es gebe dringendere Probleme.
Religionsunterricht ist kein Problem. Sondern eine von vielen guten Lösungen, die das Grundgesetz parat hat. Menschenrechte, Toleranz, Religionsfreiheit einzuüben, das kann bisweilen anstrengend, eine Zumutung sein. Es macht uns am Ende des Tages aber menschlich besser.
Die Pegida-Bewegung warnt vor einer „Islamisierung des Abendlandes“. Wie erklären Sie sich diese Ablehnung?
Das sind Menschen, die das Gefühl haben, dass sie nicht ernst genommen werden. Viele haben seit Jahrzehnten nicht mehr gewählt und haben eine große Skepsis gegenüber unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Wenn das so ist: Warum attackiert Pegida dann den Islam?
Der Islam ist nicht das eigentliche Thema, es ist nur die Projektion. Es geht um die Angst von Mittelschichtlern, sozial abzugleiten, die Angst von Unterschichten, die den Anschluss verloren haben. Das wird auf den Islam projiziert, man schiebt jemandem den Schwarzen Peter zu.
Handfest wird der Streit beim Bau von Moscheen. Ist es aus Ihrer Sicht zulässig, wenn jemand findet, ein Gotteshaus im orientalischen Stil passt nicht in eine deutsche Innenstadt?
Dazu gebe ich zwei Antworten. Zum einen: Dass die AfD uns vorschreiben will, wie wir Moscheen zu bauen haben, löst weder das Rentenproblem, ändert nichts an der Schere zwischen Arm und Reich und sagt überhaupt nichts zu den großen gesellschaftlichen Themen. Das ist schlichtweg grundgesetzwidrig, weil es die Religionsfreiheit beschneidet. Gleichzeitig lasse ich mich gern auf eine ästhetische Diskussion über den Bau von Moscheen ein.
In Ihrem Buch loben Sie die amerikanischen Muslime für ihre Moscheen, die sich in die Umgebung einpassen.
Eben, die Frage der Architektur eines Gotteshauses ist von den Religionsgemeinschaften selbst zu verantworten. Ich finde zum Beispiel eine alte osmanische Moschee wunderschön. Gleichzeitig finde ich es ungemein spannend, Neues zu entwickeln, wie etwa unsere Moschee im bayerischen Penzberg, die sich auch an der Architektur ihrer Umgebung orientiert.
Gestritten wird auch um den Ruf des Muezzins. Die Kirchen lassen ihre Glocken läuten –ein solches akustisches Signal wollen Sie auch, richtig?
Wenn die Kirchenglocken gegenüber von meinem Büro in Berlin läuten, vibriert sogar mein ganzes Büro. Ich weiß dann, Menschen gehen zum Gebet, zur Andacht, halten eine kurze Zeit inne vor dem Alltag. Das laute Geräusch ertrage ich dann sehr gern.
Sie fordern das gleiche Recht für den Ruf des Muezzins.
Ich? Das Grundgesetz fordert das! Es gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung.
Manche Kindergärten verzichten aus Rücksicht auf muslimische Kinder auf Schweinefleisch. Ist das lobenswerte Rücksichtnahme oder geht das zu weit?
Derjenige, der Schweinefleisch essen will, soll das auch tun. Mit Basta-Entscheidungen löst man keine Probleme. Vielfalt bedeutet auch Vielfalt im Angebot und weg von Monotonie.
Der Zentralrat der Muslime fordert in seiner Islamischen Charta alle Muslime auf, sich in der Diaspora „grundsätzlich“ an lokales Recht zu halten, in Deutschland also an das Grundgesetz. Gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz?
Das wäre der Fall, wenn der Glaube eingeschränkt wird. Wenn mir etwa ein Gesetz das fünfmalige tägliche Gebet verbietet. Aber in der Charta steht auch, was Muslime in einem solchen Fall machen sollen: in ein anderes Land gehen, in dem sie ihren Glauben leben können. Die Charta sagt nicht, sie sollen eine Axt nehmen und rebellieren.
Etliche Islam-Experten urteilen, dem Islam sei eine Trennung von Religion und Politik grundsätzlich fremd.
Manchmal glaube ich, es gibt in Deutschland mehr Islam-Experten als Muslime.
Die Aussage ist also falsch?
Wer das sagt, nimmt eine Beton-Auslegung des Islams und generalisiert sie für alle Muslime. Das ist ein Totschlagargument.
Ihr Treffen mit AfD-Chefin Frauke Petry sollte Missverständnisse über den Islam ausräumen. Warum ist es gescheitert?
Wir haben den Dialog angeboten, aber die AfD hat sich dafür entschieden, unser Gesprächsangebot einseitig auszuschlagen.
Das Zusammentreffen wirkte inszeniert wie ein Boxkampf. Wer hat eigentlich gewonnen?
Ich hoffe, unsere Demokratie. Vielleicht begreifen wir als Gesellschaft, dass wir mit der AfD die Auseinandersetzung suchen und dabei die Samthandschuhe ausziehen müssen.
Es gibt etwa vier Millionen Muslime in Deutschland, Ihr Verband vertritt nach Schätzungen 10 000 Menschen. Woher weiß man, dass das, was Sie sagen, der Meinung der deutschen Muslime entspricht?
Die Zahlen sind falsch. Der Zentralrat wird oft kleingeschrieben, um ihn mundtot zu machen. Wir vertreten 300 Moscheen, jede hat etwa durchschnittlich 2000 Gläubige. Und der ZMD vertritt keine Außenseiterpositionen, sondern das, was viele Muslime in Lande denken.
Zumindest im Ausland gibt es sehr andersartige Auslegungen des Islam. Homosexualität etwa ist in vielen islamischen Ländern verboten und wird oft hart bestraft. Woher soll man wissen, welche Richtung der wahre Islam ist?
Ich bin Bürger dieses Landes und Vorsitzender einer deutschen Religionsgemeinschaft. Für mich maßgeblich ist das Grundgesetz. Ich nehme Homosexualität für mich und religiös nicht an. Aber ich trete gleichzeitig ein gegen Homophobie, als Muslim.
Bedeutet das, dass Länder wie Saudi-Arabien oder Iran eine Abweichung vom Islam praktizieren, eine Pervertierung dieser Religion?
Pauschalantworten bringen uns nicht weiter. Ich muss die Gesellschaft und die Geschichte jedes Landes sehen. Man sagt oft „die islamischen Länder“ und meint das arabische Kerngebiet. Das macht aber gerade ein Drittel des Islams in der Welt aus.
Die größte muslimische Gemeinde lebt in Indien und hat seit Jahrhunderten die Erfahrung, dort als Minderheit zu leben.
Ein Blick in die Zukunft: Wenn sich die Zuwanderer wie gewünscht integrieren, steht die nächste Generation der Religion ähnlich gleichgültig gegenüber wie die meisten Deutschen. Wäre das bedauerlich?
Ich hoffe, dass dieses Szenario nicht eintrifft. Es wäre schade, wenn gläubige Menschen abgleiten in so eine Indifferenz. Das tut unserem Land nicht gut. Wir brauchen Vielfalt.