Sandra Tiedtke aus Dessau zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl gekürt Piraten wollen GEZ-Nachfolger abschaffen
Sachsen-Anhalts Piraten haben Großes vor: Erst soll ihre Partei in den Bundestag einziehen, dann in den Landtag. Dafür wappnete sich der 642 Mitglieder starke Landesverband in Dessau personell und programmatisch.
Dessau l Frauenpower bei den Piraten: Landesvorsitzende Tina Otten (23) erhielt mit Sandra Tiedtke (27) als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl weibliche Verstärkung. Nach ihrer Wahl am Wochenende auf Platz 1 erklärte die in Dessau lebende Verwaltungsangestellte gegenüber der Volksstimme: "Wir müssen uns mordsmäßig anstrengen, um über fünf Prozent zu kommen." Zu ihren persönlichen politischen Zielen sagte sie: "Das sind ganz klar mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz. Ich will die Menschen motivieren, dass es etwas bringt, gesellschaftlich aktiv zu sein."
Die Mitsprache der Bürger in allen öffentlichen Angelegenheiten ist eines der zentralen Anliegen der sachsen-anhaltischen Piraten. Auch der freie Zugang zu Bildung gehört zum Programm, das nach dem Entscheid über die Wahlliste auf einem Parteitag in Richtung Landtagswahl 2016 fortschrieben wurde. So wollen die Piraten die TV-Gebührenzentrale als GEZ-Nachfolger abschaffen und keine Gruppen in Sachsen-Anhalt von der Versammlungsfreiheit ausschließen.
Den Zahn, dass das Piraten-Programm bei einem Einzug in die Parlamente auch eins zu eins durchgesetzt werden kann, zog allerdings Martin Delius seinen Mit-Piraten. Er sitzt für die 2009 gegründete Partei im Berliner Abgeordnetenhaus und ist als Chef des Flughafen-Untersuchungsausschusses deutschlandweit bekannt geworden. "Ihr strebt hoffentlich nicht in den Bundestag, weil ihr ein Stachel im Fleisch der Bionade-Bourgeosie sein wollt", mahnte er die Bewerber für einen Platz auf der Bundestagswahlliste. "Ihr werdet verhandeln und streiten müssen, ganz so wie jetzt bei den Piraten."
Was er damit meinte, zeigte sich bei der Kandidaten-Kür. Jeder, der auf die Wahlliste wollte, stellte sich und seine Ziele zunächst den rund 70 Piraten im Konferenzraum des Radisson-Hotels vor. Bei den folgenden Fragen an die Bewerber ging es nicht immer fein zu. Des Öfteren fiel der Satz: "Du redest mich mit Sie an!", eine Folge von persönlichen Auseinandersetzungen, üblicherweise im Internet ausgefochten.
Heftig ins Gebet genommen wurde im Saal Veit Wagner aus Helbra. Nach eigenem Bekenntnis vor Jahren mehrere Monate Mitglied der rechtsextremen NPD, versuchte der 45-Jährige dies mit Blauäugigkeit zu rechtfertigen. Wagner fiel als einer von vier Listen-Bewerbern durch. Dass die Piraten sich gegen rechtsextremes Gedankengut wenden, zeigten sie am Sonnabendmittag: Sie reihten sich in die Menschenkette gegen den Neonaziaufmarsch in der Dessauer Innenstadt ein.
Das Revier der Piraten sind in Sachsen-Anhalt vor allem die großen Städte Halle, Magdeburg und Dessau. So ist Andreas Breitschu aus Bernburg eher ein Einzel-Pirat. Der 30-jährige Informatik-Kaufmann, derzeit Hartz-IV-Empfänger, schaffte es auf Platz vier der Landesliste. Seine Themenfelder sind das Urheber- und Sozialrecht. Die große Themenfülle in der Partei hält er für richtig: "Das entspricht einer Volkspartei."
Miese Umfragewerte und Führungsquerelen an der Bundesspitze ficht Landeschefin Tina Otten nicht an. "Eine Bundesvorstands-Diskussion gibt es in unserem Landesverband nicht." Was meint sie selbst zum Streit um Bundesgeschäftsführer Johannes Ponader? "Dazu will ich mich als Amtsträgerin nicht äußern."