Arbeitsagentur Sachsen-Anhalt: Warum erst 20 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge einen Job haben
Markus Behrens, Sachsen-Anhalts Arbeitsagentur-Chef, spricht im Interview über die Höhe des Bürgergelds, die konjunkturelle Flaute und erklärt, warum erst jeder fünfte ukrainische Flüchtling einen Job hat.
Halle - Der Wirtschaft in Sachsen-Anhalt ist bange vor dem Jahr 2024. Wie wirkt sich das auf den Arbeitsmarkt aus, wo der Mangel an Arbeits- und Fachkräften zuletzt immer mehr zunahm? Volksstimme-Reporter Robert Gruhne sprach mit Markus Behrens, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Arbeitsagentur.
Die Aussichten für Jobsuchende sind gerade vergleichsweise rosig. Wie bewerten Sie die Situation auf dem Arbeitsmarkt?
Markus Behrens: Wer in Beschäftigung ist, hat gute Aussichten. Wer Arbeit sucht, hat andere Möglichkeiten als vor zehn Jahren. Der Markt hat sich komplett gedreht. Die Arbeitnehmer bestimmen die Taktung, haben Vorstellungen zu ihrem Gehalt, zu ihrer Arbeitszeit und sonstigen Vereinbarungen. Insofern sind es gute Zeiten für Arbeitnehmer.
Und für die Arbeitgeber?
Die Situation für die Unternehmen ist schwierig, aber sie halten ihr Personal trotzdem, weil es loyal ist und auch die Leistung bringt. Die Arbeitgeber unternehmen viel, um attraktiv zu bleiben. Wir haben aktuell ein gutes Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Zur Person: Markus Behrens
- Markus Behrens wurde 1973 in Torgau geboren. 1991 startete er bei der Bundesagentur für Arbeit als Student.
- Nach dem Studium folgten unter anderem Stationen als Arbeitsvermittler und Pressesprecher. Er war auch Chef der Arbeitsagentur Dessau-Roßlau-Wittenberg.
- Seit dem 1. Januar 2022 ist Behrens Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen.
Warum sind trotz des hohen Bedarfs an Arbeitskräften noch so viele Menschen in Sachsen-Anhalt arbeitslos?
Wir haben einerseits viele ungelernte Arbeitssuchende und andererseits eine hohe Nachfrage nach Fachkräften. Das passt nicht zusammen. Zweitens ist Mobilität ein Thema. Die Arbeitsplätze sind häufig in den Industriegebieten am Stadtrand. Nicht jeder hat das Geld für ein Auto. Und drittens ist etwa ein Drittel der Menschen, die wir betreuen, länger als zwölf Monate ohne Arbeit. Je länger man arbeitslos ist, desto veralteter sind die Qualifikationen. Deswegen ist Weiterbildung so wichtig.
Die Bundesregierung will angesichts der Haushaltskrise den Bürgergeld-Bonus, der für Weiterbildung gezahlt wurde, wieder abschaffen.
Dass man jetzt vor dem Hintergrund der defizitären Haushalte bei den Schwächsten kürzt, ist das falsche Signal. Wir wollten mit diesen Instrumenten Anreize setzen, dass man nicht von einem ungelernten Job in den nächsten geht, sondern sich qualifiziert und als Fachkraft einsteigt.
Welche Erfahrung haben Sie bisher mit dem Bürgergeld gemacht?
Wir setzen jetzt stärker auf Kooperation und haben den Vermittlungsvorrang abgeschafft. Das ist den Kollegen in den Jobcentern gut gelungen. Auch der Verwaltungsaufwand ist durch die Vereinfachungen gesunken.
Ist das Bürgergeld zu hoch?
Das ist eine politische Entscheidung, für die man Bürgergeld und Mindestlohn im Einklang betrachten muss. Ich finde, Arbeit und Ausbildung lohnen sich immer. Weil man langfristig etwas für seine Altersvorsorge tut, weil man in der Gemeinschaft ist und sich auch mal etwas leisten kann. Kinder müssen sehen, dass die Erwerbstätigkeit der Normalfall ist. Dass es uns in unserem Land so gut geht, hat damit zu tun, dass wir alle so fleißig arbeiten gehen.
Und die, die das System ausnutzen, sind in der Minderheit?
Das ist ein ganz kleiner Teil. Dafür hat der Gesetzgeber die Sanktionen wieder eingeführt. Das ist auch fair gegenüber den Steuerzahlern.
Wie läuft die Integration der Flüchtlinge aus der Ukraine?
Unsere Herausforderung ist, dass wir nach der Phase des Ankommens und des Spracherwerbs zur Arbeitsaufnahme übergehen. Jetzt müssen auch die Arbeitgeber den Menschen eine Chance geben.
Wie viele Ukrainer haben Arbeit gefunden?
Wir liegen bei knapp 20 Prozent. Bei den Ausländern insgesamt sind es 44 Prozent, bei den Flüchtlingen aus den Jahren 2015 und 2016 etwa 50 Prozent.
Warum erst 50 Prozent?
Einerseits kommen sie aus einem anderen sprachlichen und kulturellen Umkreis. Andererseits war anfangs auch die Einstellung auf der Arbeitgeberseite noch nicht so da. Jetzt ist die Notwendigkeit anders. Geburtenstarke Jahrgänge gehen ab. Wir brauchen jetzt jeden. Deshalb begleiten wir die Menschen nun auch enger.
Wo nehmen Sie die Kapazitäten dafür her?
Wir steuern besser, wen wir häufiger sehen. Außerdem wollen wir mehr in Gruppen beraten, wenn zum Beispiel vier Frauen aus der Ukraine alle im Friseurhandwerk arbeiten wollen.
Hat sich die Willkommenskultur in Sachsen-Anhalt verbessert?
Ja. Allen Beteiligten ist klar: Wir brauchen Zuwanderung. Sachsen-Anhalt und Thüringen sind beim altersbedingten Rückgang der Beschäftigten am stärksten betroffen. Wir müssen das Ankommen so geschmeidig wie möglich machen. Hier sind wir in guten Gesprächen und arbeiten an einfacheren Prozessen. Es soll ab März ein zentrales Einfallstor, ein Welcome Center, geben.
Arbeiten Sie bereits mit Intel zusammen?
Einmal die Woche treffen wir uns in einer Arbeitsgruppe der Staatskanzlei, um zu schauen, wie die Halbleiterbranche im Land Mitarbeiter finden kann. Natürlich wird Intel auch Mitarbeiter aus seinen weltweiten Standorten nach Magdeburg bringen. Es geht aber nicht nur um Intel. Wir müssen auch abfedern, wenn Menschen aus anderen Unternehmen zu Intel gehen.
Der Automobilzulieferer Ifa aus Haldensleben prüft, Stellen nach Polen zu verlagern, weil es hier nicht genug Fachkräfte gibt. Wird so etwas in Zukunft häufiger vorkommen?
Das lässt sich nicht ausschließen. Ob das immer vor dem Hintergrund der Fachkräfte passiert, vermag ich nicht einzuschätzen. Auch die Energiepreise sind ein großes Thema bei den Unternehmen. Ich könnte Ihnen aber nicht einmal eine Handvoll Unternehmen aus Sachsen-Anhalt nennen, die das Land verlassen wollen.
Insgesamt blickt die Wirtschaft pessimistisch auf 2024. Was erwarten Sie?
Die konjunkturelle Flaute ist da. Die Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geben einen leichten Rückgang der Beschäftigung an und eine leicht steigende Arbeitslosigkeit. Aber wenn die Energiepreise günstiger werden, stellen die Unternehmen vielleicht wieder mehr ein. Das gilt es zu beobachten. Wir wissen nicht, wie es mit dem Krieg und den anderen globalen Konflikten weitergeht. Aber ich bleibe optimistisch.