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Schiedsrichterin  Männer tanzen nach ihrer Pfeife

Wie Bibiana Steinhaus in der Bundesliga, pfeift Schiedrichterin Miriam Schweinefuß in der Verbandsliga Sachsen-Anhalt in einer Männerdomäne.

Von Bernd Kaufholz 21.09.2017, 23:01

Magdeburg l „Die Schiedsrichterleistung ist voll gut", lobt ein Fußball-Fan aus dem Landkreis Wittenberg kurz vorm Ende der ersten Halbzeit die Spielleitung von Miriam Schweinefuß beim Spiel zwischen dem MSV Börde 1949 Magdeburg und dem SV Eintracht Elster. Der Experte erntet anerkennende Kommentare von den meist über 60 Jahre alten, mitgereisten Fans aus dem Zahnaer Ortsteil: „Wunderbar, das Schiedsrichterkollektiv heute." Eine ältere Dame meint: „Richtig, den Kerlen mal zu zeigen, wo’s langgeht! Siehste, wie die Spieler parieren?", klopft sie ihrem Ehemann auf die Schulter. Und der Gatte versteht sofort den Doppelsinn der Worte.

Die 23 Jahre alte Schiedsrichterin und ihre zwei Assistenten Sarah Hartmann und Christian Wesemann an den Linien haben es an diesem Sonnabendnachmittag im Magdeburger Gutsmuths-Stadion wirklich nicht schwer. Die gelbe Karte bleibt in der Brust-, der rote Karton in der Gesäßtasche. Selbst der Zeigefinger als Vorwarnung muss mangels gröberer Fouls nicht erhoben werden. Im Männerbereich gebe es so etwas wie einen Frauenbonus für Schiedsrichterinnen. „Da sind die Spieler doch etwas moderater und nehmen sich zurück. Da wird mir zwar auch mal ein Vogel gezeigt, aber das ist dann eben Rot." Und bei Frauen gehe es sowieso zumeist gesitteter zu. „In kleinen Stadien stehen die Zuschauer ja oft sehr nah am Spielfeldrand. Da bekommt man dann auch schon mal den einen oder anderen ,netten‘ Satz von den Rängen mit. Besonders bei Spielen in den unteren Klassen." Aber daran habe sie sich gewöhnt. „Da muss man ein dickes Fell haben."

Miriam Schweinefuß ist neben Josefin Böhm aus Magdeburg die einzige Schiedsrichterin in Sachsen-Anhalt, die Herren-Verbandsliga pfeifen darf. Es ist ihre zweite Saison in der sechsthöchsten Spielklasse. Die 23-Jährige erzählt: „Vor drei Jahren stand ich noch eine Klasse darunter – Landesliga – auf dem Platz. Am Ende der Saison wurde das Punktesystem ausgewertet, das von den Schiedsrichterbeobachtern nach Spielen aufgestellt wurde. Das Ranking muss so überzeugend gewesen sein, dass ich aufgestiegen bin."

Als Kind hat die junge Frau aus einem Ortsteil Ballenstedts (Landkreis Harz) selbst noch die Töppen geschnürt. „In unserem Dorfclub gab es aber keine Mädchenmannschaft. Da habe ich in der Jungensmannschaft vom SV Grün-Weiß Rieder mitgemacht."

Mit zehn Jahren machte sie den Schiedsrichterschein. „Ich glaube, das geht heute gar nicht mehr. Schiedsrichter kannst du wohl inzwischen erst ab zwölf werden." Hinter ihrer Liebe zur „Pfeife" stecke ihr Vater Sven (48), verrät sie. „Er hat viele Jahre selbst Spiele geleitet, und er hat mich immer wieder darin bestärkt, dass ich Talent habe in dieser Männerdomäne meine Frau zu stehen." Sie pfiff zuerst Jugendspiele, später stand sie bei Verbandsliga-Spielen, die ihr Vater leitete, an der Linie.

Miriam Schweinefuß pfeift. Eines der wenigen Fouls auf dem Platz. Der Magdeburger Übeltäter ganz in Schwarz fragt mit Unschuldsmiene: „Schiri, warum pfeifst du jetzt?" Die Antwort der resoluten Blonden klärt mit drei Sätzen die Situation.

„Ich bin mehr der kommunikative Typ", erzählt die Harzerin, die in der vergangenen Saison 50 Spiele gepfiffen hat – je zur Hälfte in der Verbandsliga Sachsen-Anhalt und der 1. Frauen-Bundesliga. „Aber keine langen Reden – kurze Ansprachen. Man muss nicht alles erklären." Doch wenn ein Spieler Redebedarf sehe, antworte sie auch. „Das muss man aber von Fall zu Fall entscheiden." Es gebe für jeden Schiedsrichter einen „Ermessensspielraum". In erster Linie komme es darauf an, durch eine berechenbare Spielleitung Karten zu vermeiden. „Die Entscheidungen müssen für die Mannschaften nachvollziehbar sein. Der Schiri sollte die Grenzen während des Spiels nicht verschieben."

Halbzeit. Im geröteten Gesicht von Miriam Schweinefuß stehen Schweißperlen. Sie hat während der vergangenen 45 Minuten auf dem Platz die meisten Kilometer geschrubbt. Pausenkaffee und erste Auswertung in der Schiri-Kabine. Viel gibt es nicht zu bereden. Einige Abseitsstellungen, ein paar Fouls. Aus den Stadion-Lautsprechern röhrt Bruce Spring- steens „Dancing in the Dark" – der Tanz der drei „Schwarzen" auf dem Rasen geht gleich weiter.

Die feststehenden Rituale vor jedem Spiel liegen schon eine Stunde zurück: Platzbesichtigung, Kontrolle der Tornetze und der Coachingzonen, Antwort auf die Frage, in welchen Farben laufen die Mannschaften auf? „Danach richtet sich, was wir anziehen. Zur Auswahl stehen Schwarz, Rot und Gelb." Diesmal hat die Schiedsrichterin ein gelbes Jersey gewählt. Doch ihr Favorit ist ganz in Schwarz.

Zum obligatorischen Vorspiel eine Stunde vorm Anpfiff gehört ebenso, sich mit den Spielerunterlagen vertraut zu machen, die Pfeife sowie einen Stift einzustecken und natürlich auch die „Kartons". Nicht zu vergessen die Spielnotizkarten. „Darauf halte ich unter anderem die Auswechslungen, die Verwarnungen, Strafstöße und Tore fest." Mit der Seitenwahl-„Münze", die allerdings selten eine Münze ist, sondern ein Rundstück mit verschiedenfarbigen Seiten, hat Miriam Schweinefuß so ihre Sorgen. „Laufend verliere ich diese kleinen Dinger. Aber ich habe Gott sei Dank immer hilfreiche Assistenten an meiner Seite."

Kleine Funksender ergänzen die Schiedsrichter-Ausstattung. „In der Frauen-Bundesliga haben wir Sprechfunk, in der Männer-Verbandsliga nur ein Piep-Signal. Das sendet der Assistent immer dann, wenn er bei Abseits die Fahne hebt. Damit ich es mitbekomme." Das war’s dann auch schon an Technik. Mit Videobeweis habe sie selbst noch nichts zu tun gehabt. „Man muss abwarten, wie sich die Sache einspielt", ist sie zurückhaltend. Entscheidend müsse die Spielleitung auf dem Rasen bleiben. „Wenn hinzukommt, dass Entscheidungen durch Technik objektiviert werden können, ist das in Ordnung." Allerdings sehe sie zwei Wackelpunkte. „Zum einen könnte sich der Videobeweis negativ auf den Spielfluss auswirken, zum anderen die Autorität des Schiedsrichters untergraben werden."

Umziehen in der Männerdomäne? „Kein Problem. Wir sind doch alles Sportler. Und Duschen nach dem Spiel geht ja nacheinander."

Die zweite Halbzeit läuft, und „Börde" liegt 3:0 zurück. Ein Spieler fällt im Strafraum. Das „Neiiin!" der Schiedsrichterin schallt über den Platz. Kein „Elfer". Auch, wenn sie den Spielern beim Einwurf signalisiert: „Passt!", gibt es keine Diskussion.

Zwei Ereignisse der letzten Monate haben Miriam Schweinefuß besonders gefreut. „Da war zum einen der zehntägige Nordic Cup der U-16-Juniorinnen in Finnland, wo die nordeuropäischen Nationalmannschaften dieser Altersgruppe aufeinandertrafen. Ich durfte zwei Spiele leiten und stand zweimal an der Linie." Sie habe sich sehr über das Vertrauen gefreut, das ihr die UEFA entgegengebracht habe. „Eine prima Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln."

Bereits im Monat zuvor pfiff die 23-Jährige in München innerhalb der B-Juniorinnen-Meisterschaft das Spiel FC Bayern München gegen Turbine Potsdam.

Und in der Freizeit? „Freizeit, was ist das?", schmunzelt die Frau, die sich ein Leben ohne grünen Rasen und Pfeife nicht vorstellen kann. „Wenn ich nicht Medizin in Hannover studiere, stehe ich auf dem Platz. Manchmal freitags, sonnabends und sonntags." Miriam Schweinefuß ist im fünften Studienjahr, trotzdem  schaffe sie ganz gut Ligabetrieb und Studium unter einen Hut zu bringen. Zumal ihr Freund dieselbe Leidenschaft habe. Felix Schwermer pfeift die 3. Männer-Liga. Da sehe man sich zwar an manchen Wochenenden kaum, „aber wichtig ist für mich, dass ich einen Partner habe, der dieselbe Freizeitbeschäftigung hat und wir auf derselben Wellenlänge funken".

Welche Facharztrichtung sie einschlagen werde, wisse sie noch nicht. „Gut, dass man sich erst ziemlich spät entscheiden muss." Rechtsmedizin komme für sie allerdings nicht in Frage: „Ich möchte mit den Menschen sprechen."

Auf die Frage, ob ihr Blick nach ganz oben in Richtung der ersten Frau geht, die seit einigen Wochen 1. Bundesliga der Herren pfeifen darf, bleibt sie bescheiden. „Ich bin erst einmal zufrieden damit, dass ich bei den Spitzenfrauen und in der Männer-Verbandsliga ran darf. Bibiana Steinhaus ist ein wohl einmaliges Talent. Ich möchte richtig in der Verbandsliga ankommen, dann sehen wir weiter …"

Hat sie einen Lieblingsverein? Da ist die junge Frau zurückhaltend, wenn es um Profivereine geht, die sie möglicherweise einmal selbst pfeifen könnte. Doch dann fällt ihr mit ihrem Heimatverein doch noch eine unverfängliche Antwort ein: „Natürlich SV Grün-Weiß Rieder."