Lebensmittelspenden für Bedürftige Tafeln ersetzen nicht den Staat
Andreas Steppuhn, Ex-Landtagsabgeordneter der SPD in Sachsen-Anhalt, führt den Tafel-Bundesverband. Die Organisation versucht den immensen Bedarf verstärkt über Großspender zu decken.
Magdeburg - Volksstimme: Sie sind seit Juli dieses Jahres quasi Chef eines Sozialkonzerns: Die Zahl der Tafel-Helfer beträgt rund 60.000. Wie schwer wiegt die Verantwortung?
Andreas Steppuhn: Sozialkonzern würde ich uns nicht nennen. Wir sind der Dachverband der Tafeln Deutschlands. Hier haben sich 971 Tafeln zusammengeschlossen, die gemeinnützig arbeiten und die wir in ihrem größtenteils ehrenamtlichen Einsatz unterstützen. Die Tafel-Bewegung ist aus lokalem Engagement heraus entstanden. Das ist bis heute ihre tragende Säule.
Auf jeden Fall eine gewaltige Organisation. Und Sie müssen mit ihrem Apparat deren Funktionieren sichern.
Ich habe den Landesverband der Tafeln in Sachsen-Anhalt mitaufgebaut und vorher seit 1991 in Sachsen-Anhalt Gewerkschaftsarbeit gemacht. Daher kenne ich auch Verbandsstrukturen und wie man diese effektiv aufbaut. Vor acht Jahren wurde ich gebeten, beim Aufbau des Landesverbandes der 35 Tafeln den Vorsitz zu übernehmen. Weil wir den brauchten und nicht nur einen Dachverband.
Worin sehen Sie die wichtigste Aufgabe für den Dachverband?Ich will die Arbeit der Tafeln in Deutschland weiterentwickeln, unter schwierigen Rahmenbedingungen. Die Armut nimmt zu, es kommen immer mehr Kundinnen und Kunden zu uns. Wir sind jetzt im Durchschnitt bei 1,6 bis 2 Millionen in Deutschland und das mit steigender Tendenz. Das ist eine echte Herausforderung. Das Kernziel der Tafel ist ja, Lebensmittel zu retten und sie dann möglichst schnell an von Armut betroffene Menschen weiter zu verteilen. Das ist allein schon ein logistischer Kraftakt.
Durch Digitalisierung in Supermärkten weniger Waren übrig.
Der da wäre?
Durch die Digitalisierung in den Supermärkten und Discountern bleibt weniger von den Waren übrig. Unser Prinzip war und ist es auch heute noch, dass die Tafeln vor Ort ihre Märkte und Discounter abfahren, und die Lebensmittel mitnehmen, die nicht mehr verkauft werden können. Das wird weniger, was wir auch nicht kritisieren. Wir konzentrieren uns daher mehr auf Großspenden direkt von Erzeugerunternehmen. Deshalb haben wir in Hohenerxleben in Sachsen-Anhalt ein Großlager eingerichtet. Solche Großspenden abzuholen, zwischenzulagern und auf mehrere Tafeln zu verteilen, ist aufwendig.
Auch bei der Führung eines solchen sozialen Unternehmens geht es ums Geld: Haben Sie genug für die Tafeln?
Genug haben können wir nie, vor allem nicht bei steigenden Kundenzahlen oder anderen schwierigen Umständen. Lebensmittel müssen gekühlt werden, wir brauchen Transporter. Das geht nicht ohne Geldspenden. Tafeln sind keine staatliche Einrichtung, sondern ein Sozialverband in Form eines eingetragenen Vereins. Wir betreiben auch Lebensmittelrettung und Weiterverteilung an Menschen – bisher auf Spendenbasis.
Sie sind finanziell so ausgestattet, dass Sie zurechtkommen?
Durch den Ukraine-Krieg und die Folgen der Inflation haben wir sicher insgesamt ein erhöhtes Spendenaufkommen und erleben viel Solidarität. Dafür sind wir dankbar. Wir als Dachverband reichen auch Spenden an die Ortsverbände weiter. Jedoch sind die Betriebskosten überall gestiegen, sodass die Tafel-Arbeit insgesamt teurer geworden ist. Zusätzlich nötige Maßnahmen wie der Ausbau der Logistik, um mehr Großspenden anzunehmen und zu verteilen, können wir daher allein mit Spenden nicht stemmen. Deshalb fordern wir vom Staat: Wenn wir mehr Lebensmittel retten sollen, brauchen wir auch mehr Unterstützung. Wir werden aber nie den Status einer Freiwilligenorganisation aufgeben , weil wir mit Ehrenamtlichen arbeiten. Deswegen lehnen wir jegliche Verpflichtungen ab, staatliche Aufgaben zu übernehmen.
Wie könnte Ihnen der Staat aber unter die Arme greifen?
Das kann ich gern an einem Beispiel erläutern. Wir haben also 971 Tafeln in Deutschland, bei allen fahren im Durchschnitt vier Kühlfahrzeuge, das geht gar nicht anders, um die Ware frisch zu halten. Für jedes Fahrzeug zahlen wir jährlich 380 Euro Steuern. Das macht deutschlandweit rund 1,5 Mio. Euro. Wenn uns der Staat hier entlasten würde und wir keine Steuern zahlen müssten – wie das bei Landwirtschaftsfahrzeugen mit grünen Nummernschildern der Fall ist – wäre das für uns schon eine große Hilfe.
Kommunen sagten: Geht mal zu den Tafeln, da werdet ihr versorgt.
Aber es gibt dennoch den Vorwurf, der Staat nutze die Tafeln aus, um sich vor seinen Aufgaben zu drücken.Wir haben es bei den Geflüchteten aus der Ukraine und auch schon vorher erlebt, dass es sich Verwaltungen einfach gemacht haben. Kommunen sagten: Geht mal zu den Tafeln, da werdet ihr versorgt. Da haben wir sehr deutlich gemacht, dass das nicht unsere Aufgabe ist. Ich sage das nochmal ganz deutlich: Für die Grundversorgung der Menschen ist der Staat zuständig. Wir können nur eine zusätzliche Unterstützung bieten. Die Lebensmittel der Tafel ersetzen keine kompletten Einkäufe, weil wir nur das weitergeben können, was wir gespendet bekommen.
Wie ordnen sich die sachsen-anhaltischen Tafeln, die Sie selbst mit aufgebaut haben, im Bundesvergleich ein?
Mit 35 Tafeln und 100 Ausgabestellen in Sachsen-Anhalt haben wir eine in die Zukunft gerichtete Logistik, die in ganz Deutschland weiterentwickelt werden muss. Wir schaffen es, Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs schnell zu verteilen, die als Großspenden in unserem Logistiklager ankommen. Der Ausbau von Infrastruktur und Logistik werden künftig die Hauptaufgaben für die Tafeln in ganz Deutschland sein. Dafür brauchen wir Unterstützung, was sich nicht nur mit Spenden machen lässt.
Wie haben die Tafeln die Inflation zu spüren bekommen?
Wir haben gemerkt, dass durch die Preissteigerungen bedingt Menschen zu den Tafeln kommen, die das früher nicht mussten. Das sind lange nicht mehr nur die klassischen Bürgergeldempfänger, sondern Senioren mit niedriger Rente, Alleinerziehende, während der Coronazeit zahlreiche Kurzarbeiter und natürlich viele Geflüchtete. Armut in Deutschland ist größer geworden. Ich mache mir ziemliche Sorgen. Wenn wir jetzt den aktuellen Mindestlohn von zwölf Euro nehmen und ein Rentenniveau von unterhalb von 50 Prozent, ist Altersarmut programmiert. Da ist dringend Handlungsbedarf der Politik – das ist nichts, was Tafeln auffangen können.
Es ist bei den Tafeln in der Hochphase der Fluchtbewegung aus der Ukraine zu regelrechten Verteilungskämpfen gekommen. Wie sind die freiwilligen Tafel-Mitarbeiter damit zurechtgekommen?Sicherlich gibt es solche Einzelbeispiele. Aber für Tafeln sind grundsätzlich alle Menschen gleich. Wir hatten jedoch Tafeln, bei denen einfach die Lebensmittel nicht mehr für alle, die neu dazukommen wollten, ausgereicht haben. Einige Tafeln konnten deshalb vorrübergehend keine neuen Kundinnen und Kunden aufnehmen. Andere haben geringere Mengen Lebensmittel für alle ausgegeben, um damit irgendwie klar zu kommen. Das ist schon eine Belastung für die Ehrenamtlichen, wenn Menschen in Not sind, und es sind keine Lebensmittel da.
Aber Ihre Leute bleiben, sind ein treues Volk?
Ja, wir haben einen festen Stamm.. Es sind vor allem viele ältere Menschen, die sich engagieren. Neue Mitarbeiter können wir allerdings immer gebrauchen. Wir haben auch Tafel-Kunden, die zu Tafel-Helfern werden.
Es gibt den Vorwurf an die Tafeln, sie würden sich um soziale Symptome, aber nicht die Ursachen kümmern?Für Armutsbekämpfung sind Staat und Politik zuständig. Tafeln können Armut nur lindern. Bis auf wenige Ausnahmen werden bei uns keine Lebensmittel gekauft. Unser Prinzip ist und bleibt Lebensmittel retten und Menschen helfen.