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Ölindustrie Was Klimawandel in Sachsen-Anhalt verändert

Hat die Corona-Krise das Ende des Ölzeitalters eingeläutet? Im Chemiepark Leuna werden bereits neue Weichen für die Zukunft gestellt.

09.11.2020, 23:01

Leuna l An den Tankstellen des Landes wird es deutlich: Den Liter Diesel gibt es dieser Tage für weniger als einen Euro, auch für Superbenzin zahlen Autofahrer gut 20 Cent weniger als im Vorjahr. Wegen Corona. Das Virus hat einen Crash am Ölmarkt verursacht.

Der Hauptgrund ist einfach. Flugzeuge am Boden brauchen kein Kerosin, Reisebusse bewegen keine Touristen, Kreuzfahrtschiffe laufen nicht aus. Menschen benötigen weniger Treibstoff, wenn sie weniger mobil sind. Logisch. Wann das alles endet? Wann die Nachfrage und die Preise wieder anziehen? Unklar.

Doch für die Ölindustrie könnte der Beginn der 20er Jahre mehr markieren als eine Corona-Delle in ihrer Geschäftsbilanz. Das Jahr 2020 könnte eine historische Wende einläuten. Einige Experten rechnen damit, dass der Ölverbrauch nie wieder das Niveau des Jahres 2019 erreichen wird. Auch Ölkonzerne selbst schließen das nicht aus. In einer aktuellen Studie des britisches Ölkonzerns BP zum Energiemarkt gehen zwei von drei Zukunftsszenarien davon aus, dass der globale Ölverbrauch nie wieder das Vorkrisenniveau erreicht.

Wann der Ölverbrauch sein Maximum erreicht, wird unter Experten schon länger diskutiert, zuletzt verstärkt im Zusammenhang mit der Klimadebatte. Während sich die Diskussionen früher um „Peak Oil“ drehten, mit Blick auf den Zeitpunkt der historisch höchsten Fördermenge des endlichen Rohstoffs, geht es mittlerweile um „Peak Demand“, den Zeitpunkt der größten Nachfrage. Markiert ist damit der Wendepunkt, nachdem das Ende des Ölzeitalters näher rückt.

Im Chemiepark Leuna bei Halle verfolgen die Verantwortlichen diese Debatte sehr genau. Rund 10 000 Menschen sind dort beschäftigt. Laut Christof Günther, Chef des Standortbetreibers Infraleuna, hängt der „weitaus größere Anteil“ dieser Arbeitsplätze vom Öl ab. „Öl ist der wichtigste Rohstoff in Leuna, sowohl für die Chemie als auch für die Treibstoffproduktion“, betont Günther.

Eine ernsthafte Alternative zu dieser Abhängigkeit sieht er derzeit nicht. „Weder in Leuna noch irgendwo anders auf der Welt gibt es aktuell Verfahren und Rohstoffe, die in der Lage sind, diese Abhängigkeit wirtschaftlich und technologisch sinnvoll abzulösen“, sagt Günther. Allerdings werde daran gearbeitet, auch in Leuna. „Wir sind dabei, den Stand- ort breiter aufzustellen“, betont er.

Tatsächlich wird in Leuna gerade kräftig investiert. Günther spricht von aktuell 1,3 Milliarden Euro. „Das ist eine Entwicklung, die wir seit 20  Jahren nicht mehr gesehen haben“, betont er. Allein 550  Millionen Euro davon fließen in den Bau einer Bioraffinerie. Das finnische Unternehmen UPM will dort ab 2022 aus Laubholz Biochemikalien gewinnen. Nach Angaben von Infraleuna handelt es sich um die größte Einzelinvestition am Standort seit dem Bau der Raffinerie des Ölkonzerns Total in den 90er Jahren.

Die Total-Raffinerie ist das Herzstück der ölverarbeitenden Industrie im südlichen Sachsen-Anhalt. Rund 660  Mitarbeiter sind dort nach Angaben des Unternehmens beschäftigt. Auch dort sind große Investitionen angekündigt. Rund 300 Millionen Euro will Total in die Anlage stecken, um etwa die Produktion von Methanol auszubauen. Mehrfache Nachfragen zum Fortschritt der Umbauarbeiten und zur Entwicklung des Standortes beantwortet der Konzern nicht.

Einst gab es in der Nähe von Leuna eine zweite große Raffinerie. Rund 4000 Menschen arbeiteten zu DDR-Zeiten im Mineralölwerk Lützkendorf im Saalekreis bei Addinol. Nach der Wende war dort für die meisten Beschäftigten Schluss. Einer, der den Umbruch damals federführend begleitete, ist Georg Wil- degger. Als Externer Berater kam er zu Beginn der 90er Jahre zu Addinol, ab Mitte der 90er war er Geschäftsführer des privatisierten Unternehmens, das seine Schmierstoffe bald auf der ganzen Welt verkaufte.

Die sinkende Nachfrage nach Schmierstoffen ist für Addinol schon seit Jahrzehnten eine Herausforderung. Wildegger sagt, der Verbrauch in der Bundesrepublik habe sich seit der Wiedervereinigung mehr als halbiert. So müssen etwa Motorenöle heute seltener gewechselt werden als früher. Sollten Elektroautos den Markt erobern, wird es noch schwieriger.

Wildegger sieht sein Unternehmen dennoch gut aufgestellt. Addinol, heute am Standort Leuna beheimatet, beschäftigt derzeit knapp 120 Mitarbeiter. Früher sei der Automobilsektor wichtiger für das Geschäft gewesen, sagt Wildegger. Mittlerweile verkaufe Addinol vor allem Industrieschmierstoffe. Wildegger geht davon aus, dass die benötigte Gesamtmenge an Schmierstoffen weiter zurückgehen wird. Zukünftige Probleme sieht er dennoch eher bei den Kraftstoffherstellern. „Die Kraftstoffindustrie hat vor sich, was wir in der Schmierstoffindustrie schon lange haben“, sagt der Addinol-Chef mit Blick auf den Nachfrage-Rückgang.

Wie viele Jobs in Sachsen-Anhalt am Öl hängen, lässt sich schwer sagen. Laut Statistischem Landesamt sind rund 1300 Menchen in der Mineralölwirtschaft beschäftigt. Dazu kommen rund 1900 Mitarbeiter von 280 Tankstellen. Nicht mit eingerechnet sind dabei allerdings die Tankstellen, die als Einzelhändler fungieren, weil der Spritverkauf nicht der wirtschaftliche Schwerpunkt ihres Geschäftes ist. Außerdem sind Tausende Mitarbeiter in der Chemieindustrie beschäftigt, die vielfach Ölerzeugnisse für die Produktion nutzt.

Dass sich die großen europäischen Mineralölkonzerne umorientieren wollen, haben sie zuletzt immer wieder deutlich gemacht. Der deutsche Mineralölwirtschaftsverband wirbt in Anzeigen offensiv für den Klimaschutz. Verbandschef Christian Küchen teilt auf Nachfrage mit: „Unsere Branche bekennt sich zu den Pariser Klimazielen. Und um diese zu erreichen, wollen wir unsere Anlagen und Prozesse umfassend verändern.“ Die Unternehmen der Branche wollten „massiv investieren“, um die Herstellung von Klima- neutralen Kraftstoffen voranzutreiben. Sogenannte E-Fuels sollen die Zukunft der Bran- che sein. Gemeint sind etwa Biokraftstoffe und Wasser- stoff.

Küchen sagt, der Gesamtabsatz beim Sprit liege in den ersten sieben Monaten dieses Jahres rund 7,5 Prozent unter dem des Vorjahreszeitraums. Ob Raffinierie-Schließungen drohen? „Wenn die Nachfrage nach Kraft- und Brennstoffen zurückgeht, sind sicherlich Kapazitätsanpassungen erforderlich“, sagt Küchen.

Claudia Kemfert beobachtet die Branche seit Jahrzehnten. Die Energieexpertin des Deutsches Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin erwartet mit einer gesteigerten Nachfrage nach der Corona-Pandemie zwar einen Anstieg des Ölpreises. Aber auch sie rechnet mit Verweis auf Klimaziele sowie die zunehmende Elektromobilität nicht damit, dass die Nachfrage noch einmal das Vorkrisen-Niveau erreicht.

Ob die Spritpreise damit langfristig sinken werden? Kemfert sagt: „Die zukünftigen Spritpreise werden die Strompreise sein, weil immer mehr Menschen auf Elektromobilität umsteigen werden. Strom ist das neue Öl.“