Erfindung Wie eine Magdeburgerin das Toiletten-Problem in Guatemala lösen will
Milliarden Menschen auf der Welt haben keinen sicheren Zugang zu Toiletten. Die Magdeburgerin Mona Mijthab geht das Problem mit einem selbst erfundenen Toiletten-System an – ganz praktisch, vor Ort in Guatemala.
Santa Catarina Palopó/Magdeburg - Sichere und saubere Toiletten sind in Deutschland selbstverständlich. Das wird Mona Mijthab jedes Mal bewusst, wenn sie in ihre alte Heimat Magdeburg zurückkehrt. „Ich finde es paradox, dass wir in Deutschland Trinkwasser in der Toilette herunterspülen“, sagt sie, als sie in diesem Sommer wieder auf Stippvisite in der Stadt ist. In Guatemala, wo sie heute lebt, sind Plumpsklos noch die Regel.
Mona Mijthab ist 35 Jahre alt und hat sich darangemacht, die Toiletten-Versorgung in Entwicklungsländern mit einer einfachen Lösung zu verbessern. Weltweit haben 3,6 Milliarden Menschen noch keinen Zugang zu sicheren Toiletten. Viele verrichten ihr Geschäft sogar einfach in der Natur, weil die Infrastruktur fehlt. Die Folgen: Wenn Fäkalien ins Trinkwasser gelangen, übertragen sich Krankheiten. Mädchen und Frauen sind Übergriffen ausgeliefert.
Mijthab hat diese prekäre Versorgungslage erlebt. Ein Praktikum führte sie, damals Industriedesign-Studentin in Magdeburg, nach Bangladesch. „So extreme Bedingungen habe ich nie wieder gesehen“, erzählt Mijthab. Bei starkem Regen floss das Abwasser in den Armutsvierteln durch die Straßen, hinein in die Gewässer. „Die sanitären Grundvoraussetzungen waren einfach nicht gegeben“, erinnert sie sich.
Sie sammelte gemeinsam mit den Menschen vor Ort Ideen für eine Lösung des Problems. Die Toilette, die sie entwickeln wollte, sollte stromlos, wasserlos und chemielos sein, außerdem günstig und einfach zu reinigen. So entwarf Mijthab, zurück in Magdeburg, eine Trocken-Toilette namens „Mosan“. Das steht für „Mobile Sanitation“, also mobile sanitäre Anlagen. Die Toilette ähnelt optisch einer Campingtoilette. Sie besteht aus zwei herausnehmbaren Eimern (für Urin und Fäkalien) und einer Brille mit Deckel.
Am Anfang stellte Mijthab noch viel höhere Ansprüche an ihr Produkt und hätte es am liebsten auch noch aus regionalen Materialien hergestellt. „Ich wollte alles auf einmal“, meint sie heute. Doch das gestaltete sich schwierig. Schließlich entschied sich Mijthab für Kunststoff – einen Rohstoff, den es überall auf der Welt gibt.
Den ersten Prototyp baute ein Unternehmen aus Magdeburg-Rothensee. Mit dem Preisgeld des sachsen-anhaltischen Bestform-Awards finanzierte Mijthab schließlich die erste Serie ihrer Kunststoff-Toiletten. Allerdings blieb es erst einmal dabei. „Das Konzept im globalen Süden direkt nach dem Studium in die Realität umzusetzen, war kein einfaches Vorhaben“, meint Mijthab dazu nur.
Zum Masterstudium zog die Magdeburgerin dann nach Zürich und entwickelte ihr Projekt weiter. „Das Interesse an der Idee stieg und ich erhielt regelmäßig Anfragen von Organisationen“, sagt sie. Sie gründete ein Sozialunternehmen.
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Ein Seminar verschlug sie im Jahr 2017 nach Guatemala. Weit mehr als die Hälfte der etwa 17 Millionen Einwohner lebt hier in Armut. Mijthab zog an den Atitlán-See. „Der See ist extrem belastet mit Abwasser. Wasser ist in den umliegenden Gemeinden generell ein Mangel“, erzählt Mijthab über die Situation vor Ort. Die meisten Familien haben hier nur zwei Mal in der Woche frisches Wasser. Toiletten mit Spülung wären hier überhaupt nicht praktikabel.
In Guatemala nutzen viele Familien noch Grubenlatrinen. Wenn die voll sind, werden sie zugeschüttet. Viele Familien hätten keinen Platz mehr für neue Gruben, schildert Mijthab. „Was für banale Probleme es im 21. Jahrhundert noch gibt“, findet sie. Schuld ist ihr zufolge auch die Vergangenheit: „Hätte man Länder wie Guatemala nicht so ausgebeutet, ginge es den Leuten heute vermutlich besser.“
Mona Mijthab entwickelte ihre Toilette mit der lokalen Bevölkerung in Guatemala weiter. So spielen beim Toilettengang nicht nur technische Fragen eine Rolle. „Kultur, Religion und Weltanschauung sind ebenso wichtig.“
In Guatemala verwendet sie ein Mietmodell. Etwa vier Euro zahlen die Familien im Monat für die Teilnahme am Sanitärsystem. Dafür erhalten sie eine Toilette und regelmäßig kommt ein Mitarbeiter, der die vollen Eimer einsammelt. Das ist in den engen Orten, wo es den Service bisher gibt, oft gar nicht so einfach. Durch die schmalen Gassen geht es nur mit der Sackkarre voran.
Die Fäkalien bringen die Mitarbeiter dann ins sogenannte „Transformation Center“. Mit ihrem lokalen Team, das mittlerweile aus neun Menschen besteht, hat Mijthab eine Maschine für den Pyrolyse-Prozess entwickelt. Die Fäkalien werden darin verköhlert. „Keine Hightechlösung“, meint die Industriedesignerin. Da es oft keinen Strom gebe, müsse die Maschine auch ohne auskommen. Auch Ersatzteile seien rar. „Aber gerade eine Maschine zu entwickeln, die so einfach ist, dass wir sie günstig lokal herstellen können, war die Herausforderung“, schildert Mijthab.
Beim Verbrennen karbonisieren die Fäkalien. Es entsteht Pflanzenkohle. Diese kann man dann als Dünger und zur Regeneration von Böden verwenden. Auch für den Klimaschutz sei das Mijthab zufolge gut, da der Kohlenstoff im Boden bleibe und nicht wie in den Latrinen in Form von Treibhausgasen in die Umwelt entweiche. Ein eigenes Forschungsteam befasst sich mit der Pflanzenkohle. Mijthab kümmert sich aktuell darum, dass das Produkt alle Bedingungen erfüllt, um es für lokale Bauern auf den Markt zu bringen.
Momentan nutzen 200 Familien und eine Schule den Service von Mosan. Eine weitere Schule mit 800 Kindern soll in diesem Monat dazukommen. Noch könne das Unternehmen sich nicht aus dem Betrieb heraus finanzieren. Man sei weiter auf Spenden und Förderung angewiesen, sagt Mijthab. Sie will Mosan langsam wachsen lassen, immer im Zusammenspiel mit der Bevölkerung. „Es geht uns mehr um den sozialen Mehrwert als um das rein Unternehmerische“, sagt Mijthab.
Zwei Mal im Jahr kommt Mona Mijthab noch zurück nach Magdeburg, wo sie zur Schule ging und ihr Abitur absolvierte. Aufgewachsen ist sie in Dannigkow. „Ich habe hier ein Zuhause-Gefühl. Die Leute hier sind cool und bodenständig“, findet sie. Aber auch in Guatemala fühlt sie sich wohl. „Ich lebe gern dort“, sagt sie. Ihre Arbeit mache sie stolz und bereite ihr Freude. „Mir ist nicht an einem Tag langweilig“, betont sie. Und etwas Gutes tut sie mit ihrer Arbeit auch noch.