Wiederaufbau Erxleber Barockorgel hat wieder Töne
Die Barockorgel in der Kirche in Erxleben (Börde) erklingt wieder. Die Orgel ist eines der ältesten Kircheninstrumente in Sachsen-Anhalt.
Erxleben l Ein tiefer Ton durchbrummt die Erxleber Schlosskirche St. Godehardt, die zwischen 1564 und 1580 als eine der ersten evangelischen Kirchen in der Börde erbaut wurde. Nach dem tiefen C mehrfaches Klicken. Verursacht durch den elektrischen Tastenhalter, der automatisch Test-Ton für Test-Ton drückt. Unterhalb der Orgelempore ein kleines Podest, auf dem einst eine Lutherbüste stand. Nach der Restaurierung war der Reformatorkopf zu schwer geworden und steht heute an einer anderen Stelle des Kirchenschiffs.
Doch Luther interessiert die beiden Männer, die für das Brummen und Klicken verantwortlich sind, nicht. Sie geben einer der ältesten Dorforgeln Sachsen-Anhalts den letzten Schliff. Zwar fand vor einigen Tagen bereits das Eröffnungskonzert auf dem Barockins- trument vor mehr als 200 Gästen statt, aber was Orgelbaumeister Jörg Dutschke aus Salzwedel und sein Geselle Andreas Lange jetzt tun, ist so etwas wie die erste Durchsicht – die Feinjustierung, bei dem die Tonhöhe der „Königin“ eingestellt wird.
Dutschke, seit 50 Jahren Orgel-Flüsterer, kann sich noch genau an den Eindruck erinnern, als er das erste Mal die Vorderseite mit den geschnitzten Engeln und den hölzernen Frucht- und Blattschnüren von unten sah: „Ich habe zur Empore hochgesehen und gedacht: Wow! Und war fasziniert. Ein Wahnsinnsinstrument!“, so der 66-Jährige.
Als er jedoch die knarrenden Holztreppen nach oben gestiegen war: „blankes Entsetzen“. Die Orgel war „entseelt“, eine Ruine. Fast alle der 1356 Pfeifen waren herausgerissen und das elektrische Gebläse war verschwunden. „Das Problem war, man hatte überhaupt keine Vorstellung mehr vom Klang. Und wie die Pfeifen einst in den Rasten standen, war auch völlig unklar.“
Glücklicherweise gibt es in Deutschland noch einige Orgeln aus der berühmten Herbst-Werkstatt, so in Basedow (Mecklenburg-Vorpommern), Lahm/Itzegrund (Oberfranken) und Wasserleben im Harz. Der Meister machte sich auf den Weg, um die „Schwestern“ der Erxleber Orgel unter die Lupe zu nehmen. Um daraus Schlüsse für die Rekonstruktion zu ziehen.
Dass es 2015 überhaupt dazu kam, dass ein Orgelbauer ins Boot geholt werden konnte, liegt an einem Verein mit 35 Mitgliedern, zu denen Hildegard Bernick gehört.
Die 80-Jährige zeigt auf ein Fenster der vom Zahn der Zeit angenagten Schlossfront gegenüber der Kirche. „Dort, wo man noch sieht, dass da mal ein Balkon war, bin ich in die 8. Klasse gegangen“, erklärt die Vorstandsfrau vom Förderkreis Schlosskirche Erxleben, warum sie sich als Magdeburgerin für eine Orgel in einem Bördedorf stark macht.
Ihr Vater war Lehrer und Kantor im Ort und bis 1960 habe sie mit ihrem Mann, der mit Schloss-Nachfahre Joachim von Alvensleben vier Jahre lang gemeinsam die Schulbank gedrückt hatte, in Erxleben gewohnt. „Den Kontakt dorthin habe ich nie verloren.“
Von Alvensleben, die seit 1282 auf der Burg residierten, die Kirche, die Orgel – Bernick, die ehemalige Lehrerin für Deutsch und Geschichte – ist ein wandelndes Lexikon, wenn es um Erxleben geht. Und eine knallharte Kämpferin für eine der ältesten Orgeln Sachsen-Anhalts.
„Der Förderkreis wurde 2008 gegründet. Vorsitzender war bis zu seinem Tode im vergangenen Jahr Joachim von Alvensleben“, blickt die Vereins-Vizechefin zurück. Sie räumt ein, dass sie sich die Erneuerung der Orgel etwas weniger aufregend vorgestellt habe. Und Klaus Danneberg von der Orgelkommission bescheinigt der Rentnerin „viel Überzeugungskraft und ehrenamtliches Engagement“. Er erinnert sich daran, dass anfangs daran gedacht wurde, hinter dem barocken Prospekt eine neue, kleinere Orgel zu verstecken. Doch angesichts der historischen Dimension der altehrwürdigen „Herbst“ sei man bald wieder davon abgekommen.
„Mutprojekt“ nennt die 2. Vorsitzende das jahrelange Ringen um das Instrument. „Aber eines, das sich gelohnt hat“, sagt sie. „Bund und Land, private Sponsoren sowie die evangelische Kirche haben mitgezogen und der Förderkreis hat unermüdlich Spenden gesammelt.“ Besonders die Veranstaltungen seit 2006 innerhalb der Konzertsommer trugen dazu bei, den geforderten Eigenanteil für die Restaurierung zu stemmen.
„Wie viel Förderanträge ich geschrieben habe, weiß ich gar nicht mehr genau. Was ich hingegen noch weiß, ist, dass es kräftezehrend war und ungefähr die Hälfte abgelehnt wurde“, sagt die 80-Jährige.
Patenschaften für die Pfeifen, die in einem Buch dokumentiert sind, haben den Verein auch einen Schritt vorangebracht“, so die Orgel-Kämpferin.
Als das Meisterwerk am 27. Oktober 2010 nach Jahrzehnten das erste Mal wieder seine vollen Akkorde durch das Kirchenschiff flutete, war nicht nur die 80-Jährige tief ergriffen. „Wenn ich während der letzten zehn Jahre an diesen Moment gedacht habe, habe ich gemeint, dass ich weinen werde. Aber es war nur ein großes Glücksgefühl, das ich empfunden habe.“
Orgelbaumeister Jörg Dutschke zieht die 2,40 Meter hohe Acht-Fuß-Pfeife, die gerade den tiefsten Ton der Orgel erzeugt hat, heraus. Das hölzerne und metallene Innenleben der Röhre ist eine Wissenschaft für sich – die Feineinstellung Millimeterarbeit.
Vor den letzten Handgriffen dieser Tage lag die sogenannten Intonation, bei der der Orgelbauer den Klang der Pfeifen gestaltete. „Jede einzelne wird bearbeitet, um Klangfarbe und Lautstärke für einen stabilen Ton anzupassen, den sie nach der Herstellung noch nicht hat“, sagt Dutschke. „Außerdem sollen alle Pfeifen eines Registers miteinander harmonieren.“ Der Experte muss das Instrument „in den Raum komponieren“, passend zur Akustik und zum Umfeld. Dutschke kann gar nicht alle Hindernisse der vergangenen Jahre aufzählen. Im Hauptwerk passten zum Beispiel die Register nicht und die Pfeifen standen schräg. Windgeräusche beeinträchtigten den Klang und Ärger gab es auch mit der Klaviatur.
Doch das ist Vergangenheit und Hildegard Bernick freut sich auf die Konzerte: das Adventskonzert am 7. Dezember ab 14 Uhr mit Andreas Petzold an der Herbst-Orgel und das Adventskonzert mit Dom-Organisten Barry Jordan am 15. Dezember ab 14 Uhr.