Kultur Zwischen Sorgen und Zuversicht
Nach Monaten der Frühjahrsschließungen sehen sich viele Kulturschaffende erneut vor einem schweren Jahr.
Magdeburg/Halle l „Auch wenn uns weiter Masken zieren, darf man nicht sein Gesicht verlieren“, waren die Schlusssätze von Hans-Günther Pölitz in seiner digital verschickten Vorausschau auf das Jahr 2021. Das Ensemble der „Magdeburger Zwickmühle“ kann nach Monaten der Frühjahrsschließungen, Absagen und späteren Umplanungen bereits seit Anfang November nicht mehr auftreten. Nun streamt die „Zwickmühle“ das aktuelle Programm mit Pölitz und Kabarett-Partnerin Marion Bach, um überhaupt eine Bühne zu haben, um das Publikum zu erreichen, natürlich auch Einnahme zu generieren. 20 Euro plus Gebühren, fast wie eine Karte, kostet der Eintritt in die virtuelle „Zwickmühle“. Der Zuspruch, so sagt Geschäftsführerin Ulrike Löhr, habe das Team gefreut und motiviert. Das Haus plant weitere Termine. Man wolle zeigen, dass man da ist. Auf der Homepage gibt es zudem den kostenlosen „Hoppla! Wir leben!“-Kanal.
„Der Buchungskalender hat sich geleert und alle warten den Sommer ab.“
Ines Möhring vom OLi-Kino Magdeburg
Die Hengstmänner, das Familienkabarett aus Magdeburg, hält sich mit Online-Projekten online über Wasser. Die Anfang November geplante Premiere der Brüder Tobias und Sebastian konnte nicht mehr stattfinden. Wann sie auf die Bühne kommen kann? Keiner weiß es. Irgendwie sichtbar bleiben ist Maxime. Aber online ersetzt, das erfährt man zuhauf, nie und nimmer das Bühnenleben und die so wichtige Interaktion mit dem Publikum. Die ist nicht nur für Bühnenmenschen wichtig. Auch wer im Gästeraum sitzt, will Live-Emotionen.
„Den Kammerspielen geht es nicht wesentlich anders, als allen anderen Theatern. Man schmiedet Pläne, verwirft sie coronabedingt und schmiedet wieder neue und wartet und hofft“, sagt Michael Günther Bard, Künstlerischer Leiter der Kammerspiele Magdeburg. Die freie Theatergruppe ohne eigene Spielstätte ist zum Magdeburger des Jahres nominiert. Da leuchte „Licht in dieser düsteren Zeit“.
„Auch unser Publikum und besonders Sponsoren und Förderer haben uns geholfen, die Krise bis hierher und wahrscheinlich auch weiter zu überstehen“, sagt der Schauspieler, der im Oktober sein 30-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert hat.
Dass man das Jahr irgendwie übersteht, dafür sorgen auch Spenden von Filmliebhabern, die, so sagt OLi-Betreiberin Ines Möhring, immer noch überraschend eintrudeln würden und „mir die Tränen der Rührung in die Augen trieben“. Danke, danke, danke steht am kleinen privaten Kino in der Landeshauptstadt. Und darüber, im Lichtkasten, wo eigentlich das Programm in großen Lettern leuchtet: „Heute ist nicht alle Tage. Wir komm‘ wieder – keine Frage“. Die Paulchen-Panther-Zuversicht. Möhrings Blick auf 2021 sei hoffnungsvoll, aber mit Bauchschmerzen verbunden. „200 Gäste bei beliebten Veranstaltungen und große Geburtstagsfeiern im OLi wird es für lange Zeit nicht geben. Aber damit haben wir Geld verdient. Der Buchungskalender hat sich geleert und alle warten den Sommer ab. Doch dann sind die Leute draußen und Open-air-Kino können wir nicht bieten.“
Auch bildende Künstler haben große Probleme, überhaupt noch Einnahmen zu generieren. Julia Rückert ist Mitglied im Vorstand des Berufsverbandes BBK in Sachsen-Anhalt. Sie sagt, die finanzielle Situation vieler Kollegen sei ohnehin schon prekär. „Sogar vor Corona konnten nicht alle von ihrer Kunst allein leben und die wenigsten haben ausreichende Rücklagen, um mehrere Monate ohne Einnahmen zu überbrücken. Die Finanzhilfen des Landes aus dem Frühjahr waren geradezu lächerlich gering. Viele mussten die 400 Euro Soforthilfe aufgrund der fehlenden Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse wieder zurückzahlen oder haben sie überhaupt nicht bekommen“, kritisiert die Keramikkünstlerin aus Halle. Viele hätten sich auch nicht mehr für das Stipendienprogramm des Landes („Kultur ans Netz“) beworben, „aus Angst davor, dass die Zahlungen mit Hartz IV oder anderen Sozialleistungen verrechnet würden, die sie mittlerweile beantragen mussten, oder dass sie wieder alles zurückzahlen müssten.
Galerien, im November noch geöffnet und für Künstler wichtige Fenster in die Öffentlichkeit, sind zu. „Durch die anhaltende Schließung von Galerien und Museen, Pop-Up-Stores, Märkten und anderen Verkaufsmöglichkeiten, ohne Schulen und Kursangebote und ohne geeignete Unterstützung wird sich die Situation von vielen bildenden Künstlerinnen und Künstlern dramatisch verschlechtern“, sagt Rückert.
Reiner Schomburg, Präsident des Chorverbandes Sachsen-Anhalts, setzt große Hoffnung auf Impfungen. „Kein Chor singt zurzeit. Das ist eine Katastrophe.“ Die für die meisten Chöre so wichtigen Einnahmequellen durch Weihnachtskonzerte seien komplett weggebrochen. Aber noch habe er keine Rückmeldung, dass ein Chor die Segel gestrichen habe.
2020 hat Kunst und Kultur ungemein Kraft gekostet. Erster Lockdown, dann Hygienekonzepte, Abstandsregeln, Besucherreduzierung, leichter Lockdown im November, der für die Branche nahtlos weiterging hinein in den Dezember und den Januar. „Bald befinden wir uns ein ganzes Jahr im kulturellen Ausnahmezustand“, sagt Olaf Zimmermann. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates spricht von einer „weiteren Verschärfung einer seit Monaten extrem angespannten Situation“. Der Stillstand, darauf haben sich viele innerlich schon eingestellt, wird weitergehen.
Wenn das Licht am Himmel ausgeht, wechselt das Magdeburger Theater an der Angel zu einer wunderbaren Illumination. Menschen, die vorbeispazieren, halten oft an, zücken ihre Handys. Der Blick über den Gartenzaun lohnt, weil da Bilder von Auftritten flimmern und Geschichten erzählt werden. Man darf gern lauschen. Eine Schreibmaschine klimpert Buchstabe für Buchstabe auf ein imaginäres Papier. Namen werden „gesetzt“ von Theatergängern und Freunden, die dem Haus verbunden sind und in schwerer Zeit unterstützt haben. Wie solle man sich sonst bedanken, sagt Theaterfrau Ines Lacroix.
Viele erfahren wohltuende Hilfe, weil die Menschen nach dem Lockdown wieder Kultur genießen wollen. Für die Kammerspiele Magdeburg kann sogar der Traum vom eigenen Theater Realität werden. Ein Unternehmer will eine Spielstätte zur Verfügung stellen. „Der Theaterneubau lenkt auch von der aktuellen Misere ab und gibt Hoffnung auf die Zukunft“, sagt Bard.