Rechnungshof: Weitere Verlustgeschäfte mit Zinswetten
Seit Jahren prüft der Landesrechnungshof immer wieder hochspekulative Zinswetten bei Kommunen und Zweckverbänden. Am Freitag stellte die Behörde neue Ergebnisse vor und machte klar: Das Problem ist noch größer als bisher angenommen.
Magdeburg (dpa/sa) - Sachsen-Anhalts Landesrechnungshof hat weitere Fälle aufgedeckt, in denen Kommunen und ihre Zweckverbände mit hochriskanten Zinswetten Verluste eingefahren haben. Eine Prüfung habe ergeben, dass allein der Wasserzweckverband Elbe-Elster-Jessen 20 Millionen Euro Verluste machte, sagte Landesrechnungshofpräsident Kay Barthel. Bei der Stadt Halle schlug ein Minus von 4,8 Millionen Euro zu Buche, beim Trink- und Abwasserverband Vorharz 2,1 Millionen. Aus früheren Prüfungen waren schon Verluste in Osterburg, Köthen und Bad Dürrenberg bekannt.
Der Rechnungshofchef plädierte dafür, Derivategeschäfte für Kommunen und deren Beteiligungsgesellschaften prinzipiell zu verbieten. Mit Derivaten kann das Risiko steigender Zinsen abgesichert werden. Das ist erlaubt. Allerdings ist es auch möglich, mit den Zinswetten zu spekulieren, um Gewinne einzufahren. Das ist bereits verboten. Derivate seien so komplex, dass auch erlaubte Geschäfte zu Verlusten führen könnten, begründete Barthel das vorgeschlagene Verbot.
Die Rechnungsprüfer nehmen die Derivategeschäfte seit Jahren genauer unter die Lupe. Dieses Mal prüften sie per Stichproben Kommunen und Zweckverbände, die selbst angaben, Derivate abgeschlossen zu haben. Dabei erhöhte sich die Zahl der Fälle genauso wie das Volumen. Bekannt seien nun Geschäfte von mindestens 1,7 Milliarden Euro. Bisher waren die Prüfer von 1,23 Milliarden Euro ausgegangen. Teilweise seien die Verluste in die Berechnung der Gebühren eingeflossen, die Kunden zahlen müssten. Auch das ist verboten.
Derivate waren vor allem vor der Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren ein Finanzprodukt, das auch Kommunen und deren Zweckverbänden von Bankberatern angeboten und empfohlen wurde. Gerade bei negativen Marktentwicklungen entschieden sich viele, die Verluste nicht wirksam werden zu lassen, sondern die Zinswetten in neue Derivategeschäfte zu schlechteren Konditionen umzuschichten. "Sie schieben das Risiko vor sich her und warten auf bessere Marktbedingungen." Das kann gut gehen, muss es aber nicht. Auch das Land Sachsen-Anhalt tätigt Derivategeschäfte, hat aus Sicht der Rechnungsprüfer aber das geschulte Personal und die Expertise dafür.
Bei betroffenen Kommunen und Zweckverbänden müsse geprüft werden, ob möglicherweise Regressansprüche gegenüber den Banken bestehen, sagte Barthel. "Unwohl fühlen sich inzwischen alle bei dem Thema. Es ist irre komplex und auch für Experten schwer zu handlen", sagte Barthel.
So lassen derzeit etwa zwei Zweckverbände per Finanzgutachten ermitteln, wie groß der wirtschaftliche Schaden durch die abgeschlossenen Zinswetten tatsächlich ist, berichtete Barthel. Andere haben sich bereits rechtlichen Beistand geholt, um die Erfolgsaussichten von Klagen gegen die beteiligten Banken zu prüfen. Auch der Landesrechnungshof empfiehlt diesen Weg.
Im Januar soll Barthel die neuen Erkenntnisse der Rechnungsprüfer auch im Untersuchungsausschuss vortragen, der sich mit den hochspekulativen Zinswetten der Kommunen beschäftigt. Das Gremium arbeitet die Fälle politisch auf, auch der Rechnungshof will weiterprüfen. Die Dunkelziffer dürfte weiterhin hoch sein, sagte Barthel. Der Grund: Bisher wurden nur Kommunen und Zweckverbände geprüft, die bei einer Umfrage des Rechnungshofs angegeben hatten, Derivategeschäfte getätigt zu haben. Für eine Aufklärung seien auch die Rechnungsprüfungsämter gefragt - und das Innenministerium als oberste Kommunalaufsicht, sagte Barthel.