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Fußball-Nationalmannschaft Weltklasse dank Gier-Konzept: „Auf die Spitze getrieben“

Den Weltmeister-Trainer famos unterhalten, den Rekordnationalspieler verzückt. Die Nationalmannschaft begeistert Fachleute und Fans. Einen Betriebsausflug nach Budapest soll es jetzt aber nicht geben.

Von Arne Richter und Jan Mies, dpa Aktualisiert: 17.11.2024, 12:16
Die Nationalmannschaft bietet derzeit ganz viel Grund zur Fußball-Freude.
Die Nationalmannschaft bietet derzeit ganz viel Grund zur Fußball-Freude. Philipp von Ditfurth/dpa

Freiburg - Joachim Löw freute sich als Augenzeuge über sieben famose Tor-Streiche. Lothar Matthäus geriet am TV-Mikrofon mit Superlativen komplett ins Schwärmen. Da gönnte Julian Nagelsmann seiner entfesselten Gute-Laune-Combo am Tag nach dem großen Fußball-Spaß gegen Bosnien-Herzegowina auch gerne ein bisschen Freizeit-Vergnügen und einen geselligen Teamabend. 

Persönliche Heldenverehrung lehnte der Bundestrainer nach seinem Rekordsieg und Platz eins in der Nations League aber als verfrüht ab. Ein Heilsbringer? „Das bin ich nicht“, sagte der Bundestrainer kurz und knapp, senkte dabei für einen Moment den Blick, als wolle er sich sammeln und vergab dann an Jamal Musiala und Co. gleich den nächsten Gier-Auftrag. „2024 ist noch nicht vorbei“, sagte Nagelsmann. Ungarn soll bloß nicht meinen, dass nun eine Fußball-Nationalmannschaft zum Betriebsausflug nach Budapest kommt. 

„Jeder Sieg tut uns gut und auch gegen die Ungarn, gegen die es vermeintlich um nichts mehr geht, wollen wir nachlegen“, machte Joshua Kimmich vor dem Abschluss eines bewegenden Länderspieljahres klar. Der Kapitän selbst kann trotz des kurzen Knöchel-Schrecks am Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) dabei sein. 

Die Transformation von einem verstörend schlechten Krisen-Team im November 2023 zu einer gnadenlosen Tormaschine im November 2024 ist Nagelsmann in hohem Maße anzurechnen. In drei Sätzen formulierte er seine Mentalität, die er seinen Spielern mit Erfolg vermittelt hat: „Mir geht es schon viel drum, diese Gier zu spüren, dass man unbedingt gewinnen will. Es hilft schon, wenn man es hasst zu verlieren. Jeder, der verlieren kann, wird nie ein richtiger Gewinner sein.“ In Freiburg standen richtige Gewinner auf dem Platz und an der Seitenlinie. 

Deutschland ist ein realistischer Titelaspirant für den WM-Pokal 2026 in Amerika. Die Nationalmannschaft ist nach dem Viertelfinal-Schmerz bei der Heim-EM sogar noch einmal besser geworden, hat sich als Team um Kimmich, Musiala und Florian Wirtz von alten Größen wie Toni Kroos, Thomas Müller und Manuel Neuer emanzipiert. Fünf Siege, ein Remis, selbstredend keine Niederlage und 17:3-Tore stehen in diesem Goldenen Herbst zu Buche. 

Weltklasse als Schlagwort

Das Schlagwort, das nach dem 7:0-Rekordsieg gegen A-Liga-Absteiger Bosnien-Herzegowina die Runde machte war: Weltklasse. Auch hier relativierte Nagelsmann noch. „Näher dran sind wir schon“, sagte der 37-Jährige. Doch am Ziel sieht er sich noch lange nicht, trotz der jüngsten Fußball-Feste. „Man kann es immer schwer bewerten, weil man nicht gegen jeden Gegner spielt. Es werden bessere Gegner kommen als heute, aber die Entwicklung ist eine gute.“

So schön war die Treffer-Gala von Musiala, Kai Havertz, Leroy Sané und den Doppelpackern Wirtz und Tim Kleindienst, dass Nagelsmann sogar nach einer Parallele zu einer der größten Sternstunden der deutschen Fußball-Geschichte gefragt wurde. Dieses 7:0, das erinnerte womöglich, was Leichtigkeit und Spielfreude anging, an das legendäre 7:1 im WM-Halbfinale 2014 gegen Brasilien? 

Diesen Vergleich wollte der Bundestrainer nicht komplett mitgehen, aber grundverkehrt fand er ihn auch nicht. „Die Spielwichtigkeit war damals deutlich größer, aber Lust hatten wir heute auch“, sagte Nagelsmann. Entscheidend für ihn: Die Jagd auf den Ball habe man im positiven Sinn „auf die Spitze getrieben“. Wie in jener legendären Nacht von Belo Horizonte 2014. Wie passend, dass Weltmeister-Coach Löw in Freiburg im Stadion war. „Er hat sich sicherlich ganz ordentlich unterhalten gefühlt“, sagte der Bundestrainer über seinen Vor-Vorgänger als Tribünengast.

Ordentliche Unterhaltung ist eine ordentliche Untertreibung für das, was die Nationalmannschaft mit ihrem Tore-Rausch geboten hatte. Im kommenden Jahr geht es nun um den ersten Beweis der Titelfähigkeit im WM-Testlauf Nations League. Die Weichen sind in jedem Fall richtig gestellt. Bei der Auslosung des Viertelfinals der Nations League am Freitag wünscht sich niemand die deutsche Elf als K.-o.-Konkurrenten.

Als Motor dient Nagelsmann die einzige große Enttäuschung des Jahres. „Wir haben eine ordentliche Heim-EM gespielt, sind aber trotzdem im Viertelfinale ausgeschieden, allein da liegt schon viel Geheimnis drin, dass wir weiter kommen wollen“, machte er deutlich. 

Musiala ist ein unglaublicher Glücksfall

80 Sekunden brauchte Musiala. Dann war mit seinem erneuten Kopfballtor der erste Glücksmoment perfekt. Nagelsmann sieht in dem 21-Jährigen nicht nur den Fußball-Zauberer, als der er derzeit überall gefeiert wird. Der Münchner besticht für den Bundestrainer mit einem Wesenszug, der ihn zum Musterschüler macht. 

„Bei ihm können sich viele junge Spieler, die Profi werden wollen, was abschneiden. Er hört extrem zu, er will immer alles wissen, holt sich Szenen, will besser werden. Er hat nicht das Statusdenken, dass er der Superstar ist und nichts mehr lernt, er ist extrem offen und am Ende belohnt er sich selbst“, geriet Nagelsmann ins Schwärmen. 

Der Konkurrenzkampf funktioniert

Wer etwas über den Charakter und den Konkurrenzkampf in dieser Nationalmannschaft lernen wollte, der musste nach einer guten Stunde genau hinschauen. Musiala, Wirtz, Maximilian Mittelstädt und Robert Andrich raus. Serge Gnabry, Sané, Benjamin Henrichs und Felix Nmecha rein. Und nichts ändert sich. Deutschland spielt weiter auf Tempo und Tore. 

„Es steht 5:0 und wir bringen vier Spieler und alle vier geben Vollgas, das ist ein sehr guter Schritt“, sagte Nagelsmann. Ein Gefühl, das auch Tim Kleindienst nach seinen Premieren-Toren teilte. „Jeder hat Bock, jeder hat Lust, geht ans Limit. Das ist schon schön zu sehen, dass das so aufgeht.“