Kunstverein „Talstrasse“ in Halle Surrealismus gab's auch im Osten
„Reise ins Ungewisse – Einblicke in die Welt des Surrealismus“ bietet der Kunstverein „Talstrasse“ in Halle.
Halle/MZ - Da ist er wieder! Lange war es still gewesen um den Surrealismus, der mit dem selbstbewussten Anspruch angetreten war, die Denkwelt, die Sicht auf die Gesellschaft zu verändern. Und die Kunst natürlich. Nun, zu ihrem 100. Geburtstag, ist die Gruppe der Surrealisten wieder in den Blickpunkt gerückt und gewinnt höchste Aufmerksamkeit – so mit Ausstellungen in Paris, wo der Schriftsteller und Essayist André Breton (1896-1966) im Jahr 1924 den Surrealismus ausgerufen hatte.
Schöne Gelegenheit
Wie schön, dass man jetzt auch hierzulande die Gelegenheit hat, sich mit faszinierenden Zeugnissen dieser Strömung zu beschäftigen, die sich radikal vom Hergebrachten lösen wollte: In der Kunsthalle „Talstrasse“ Halle ist von diesem Sonntag an die Ausstellung „Reise ins Ungewisse. Einblicke in die Welt des Surrealismus“ zu sehen. Breton hatte in seinem Manifest den „reinen psychischen Automatismus“ verkündet: „Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität“, schrieb er.
Steht man vor den bildnerischen Zeugnissen des Surrealismus, der auch in der Literatur oder in Filmen etwa von Luis Buñuel („Ein andalusischer Hund“) zur Blüte kam, wird man freilich feststellen: So revolutionär ihr Gestus, ihre Bildsprache war – mit dem Handwerk, den Regeln der Komposition etwa, haben die Künstlerinnen und Künstler natürlich nicht gebrochen. Viel mehr geht es um das freie Entstehen selbst – und um die auf den ersten Blick verrätselt wirkenden Inhalte. In der Krisenzeit nach dem Ersten Weltkrieg (und am Vorabend des Zweiten) wächst ein trotziges, provozierendes, lustvolles Gegenprogramm: mit geschärftem Blick hinter die Wahrheiten.
Hatte der Expressionismus den Aufschrei des Individuums formuliert, der Dadaismus den Protest geschärft, ist mit dem Surrealismus der Aufbruch des denkenden Ich angesagt. Antiautoritär sind alle diese Strömungen. Die Gründe ihres Entstehens erscheinen jetzt, 100 Jahre später, hochaktuell: „Gesellschaftliche und politische Instabilität, tiefgreifende Krisen, ein dynamischer Wandel und eine damit verbundene Zukunftsunsicherheit untergraben unser Wertesystem und rütteln an unserem Verständnis der Welt“, schreibt im Katalog Matthias Rataiczyk, Leiter der Kunsthalle „Talstrasse“. Er hat Werke von Klassikern des Surrealismus wie Giorgio de Chirico, René Magritte, Max Ernst und Salvador Dalí zusammengetragen – dazu Arbeiten deutscher Surrealisten der Zwischenkriegs- und der westdeutschen Nachkriegszeit, darunter Edgar Ende und Rudolf Schlichter.
Leihgaben aus Sammlungen
Die Schau vereint Leihgaben der Sammlung Helmut Klewan (München), ergänzt durch Arbeiten aus den Sammlungen Frank Brabant (Wiesbaden) und Henning (Halle) sowie aus dem Pommerschen Landesmuseum Greifswald.
Bemerkenswert ist aber auch der Blick hinter den „Eisernen Vorgang“. Im Kabinett der Kunsthalle sind unter anderem grafische Arbeiten des in Geithain (Sachsen) lebenden Künstlers Rolf Münzner (82) aus den 70er Jahren zu sehen – starke Positionen fern des Sozialistischen Realismus.
Kunsthalle „Talstrasse“,Talstraße 23, Halle, vom 15. Dezember bis zum 13. April 2025.