Neue VideoReportage auf YouTube Mit Video: Halle-Neustadt im Wandel - Braucht der Stadtteil wirklich Luxuswohnungen?
In Halle-Neustadt entstehen über 500 hochpreisige Neubauwohnungen – mitten in einem Stadtteil, der mit Leerstand und Plattenbauklischees kämpft. Doch wer soll hier einziehen? Die Videoreportage „neuBAUstadt – Leben zwischen Platte und Pyramiden“ zeigt, wie das Viertel sich wandelt – und warum die Meinungen dazu auseinandergehen.

Halle/DUR – Ingeborg Begert öffnet ihre Balkontür. Im Sonnenlicht schimmern die silbernen Schnipsel, die sie selbst gebastelt hat, und Tauben fernhalten. Seit 50 Jahren lebt die 82-Jährige in einem der alten DDR-Plattenbauten in der Muldestraße in Halle-Neustadt. „Da hinten sehe ich die Heide. Es fragt sich nur, wie lange noch?“, so die ehemalige Lehrerin.
Tatsächlich hat sich ihr Ausblick in den letzten Jahren verändert. Direkt gegenüber ist der Wohncampus gebaut worden. Die pyramidenartigen Häuser sind das erste Neubauprojekt in Halle-Neustadt seit der Wende.
Auf dem alten Gelände zwischen Muldestraße und Begonienstraße befanden sich einst zwei typische DDR-Plattenbauschulen, darunter das Cantor-Gymnasium. Nach dessen Umzug in die Torstraße erfolgte im Jahr 2011 aus Fördermitteln des "Stadtumbau Ost?" der Abriss. 2019 kaufte die Wohngroup das frei gewordene Grundstück. 2021 erfolgte dann der Baubeginn. Inzwischen sind vier der zehn geplanten Häuser fertiggestellt. Mitten in Neustadt, einem Stadtteil, der mit vielen Vorurteilen und einem zweifelhaften Ruf zu kämpfen hat.
Entwicklung des Stadtteils Neustadt: Nach der Wende kam der Leerstand
Wer wirklich in Halle-Neustadt wohnt, weiß Johanna Ludwig vom Quartiersmanagement der AWO. „Von den Zahlen her haben wir hier den durchmischtesten Stadtteil, den wir haben in Halle“, so Ludwig. Allerdings seien die unterschiedlichen sozialen Gruppen räumlich zum Teil sehr konzentriert. „Wir haben einen großen Teil, der sich in der Westlichen Neustadt im älteren Bereich befindet, was die Jahrgänge angeht. Die Südliche Neustadt ist ziemlich jung und migrantisch geprägt. Und die Nördliche Neustadt ist eher das Familienquartier“, erklärt Ludwig.

In ihrem Büro im Mehrgenerationenhaus „Pusteblume“ kommt Johanna Ludwig täglich mit den Menschen aus Neustadt ins Gespräch – und das Neubauprojekt ist immer wieder Thema. „Am Anfang war eine große Skepsis da, weil wir ja doch noch relativ viel Leerstand an manchen Stellen haben“, berichtet sie.
Grundsätzlich werde es aber positiv aufgenommen, dass endlich wieder etwas Neues entsteht. Doch die Erinnerungen an die Rückbauzeit nach der Wende sitzen tief. „Die ganze Rückbauzeit nach der Wende hat emotional doch Spuren hinterlassen in einem Stadtteil, der mal sehr populär und modern war und viele Einwohner hatte“, sagt Ludwig. In diesem Kontext sei der Wohncampus für viele „schon ein kleiner Hoffnungsschimmer“.
Aktuelle Wohnungsbestand in Halle erfüllt nicht alle Ansprüche
In Halle stehen tausende Wohnungen leer – braucht es da wirklich einen hochpreisigen Neubau? Auf den ersten Blick wirkt der Wohncampus wie ein Widerspruch, doch Stadtplaner Steffen Fliegner sieht das anders. „Das klingt erstmal widersprüchlich, ist es aber nicht, weil der aktuelle Wohnungsbestand nicht alle Ansprüche erfüllt – vor allem nicht an modernes Wohnen“, erklärt er.
„Keine Stadt kann nur aus dem Bestand heraus leben.“
Steffen Fliegner, Stadt Halle
Auch in Halle-Neustadt gebe es eine Nachfrage nach zeitgemäßem Wohnraum. „Diesen muss entsprochen werden, sonst ziehen die Leute einfach dorthin, wo es diese Angebote gibt. Insofern ist es eben kein Widerspruch“, so Fliegner. Sein Fazit: „Keine Stadt kann nur aus dem Bestand heraus leben.“
Moderner Luxus mit offenem Konzept: Was hinter dem Wohncampus steckt
Große Terrassen, Fußbodenheizung, Smart-Home-Technologie und Photovoltaikanlagen – der Wohncampus setzt auf modernsten Wohnkomfort. Doch das Bauprojekt soll mehr sein als nur hochpreisiger Wohnraum. „Das Konzept, das für den Wohncampus entwickelt wurde, sollte die geometrische Ordnung, die man hier so im Umfeld sieht, aufbrechen“, erklärt Cindy Wiegand, Geschäftsführerin der Wohngroup.
Auch die Außenanlage folgt einer besonderen Idee. „Das Grundstück ist nicht eingefriedet, es gibt einen autofreien Innenhof, viele Sitzmöglichkeiten, sodass auch die anderen Anwohner aus Halle-Neustadt diese nutzen können“, so Wiegand. Der Wohncampus soll sich bewusst ins Viertel öffnen – statt sich von ihm abzuschotten.
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Zwischen Nähe und Skepsis: Wie alte und neue Nachbarn den Wohncampus erleben
Über die Grünflächen freut sich auch Ingeborg Begert und nicht nur das: „Schöne Wohnungen sind das auf jeden Fall. Ich habe sie mir auch selber schon angesehen, trotzdem hätte man uns die Häuser nicht direkt vor die Nase setzen müssen", sagt die 82-Jährige. Von ihrem Balkon aus könne sie fast alles, was in den Pyramidenhäusern geschieht, beobachten.

Ähnlich geht es auch Tobias und Anne. Die beiden Lehrer haben Ende Januar ihre Kartons gepackt und sind in den Wohncampus gezogen. Aus ihrem Arbeitszimmer können sie die silbernen Schnipsel auf dem Balkon von Ingeborg Begert glitzern sehen. Das Pärchen stört das dichte Nebeneinander-Wohnen nicht. Beide sind Hallenser, Anne sogar in Neustadt aufgewachsen. Mehr zu kämpfen hatten die beiden mit den Reaktionen, als sie verkündeten, dass sie in den Wohncampus ziehen. „Unser größter Kritiker war mein Papa, als er aber dann die Wohnung gesehen hat, war er überzeugt“, so Anne.

„Unser größter Kritiker war mein Papa, als er aber dann die Wohnung gesehen hat, war er überzeugt.“
Anne
„Am Anfang muss ich ehrlich sagen, war ein bisschen Skepsis dabei“, erinnert sich eine der Maklerinnen für den Wohncampus, Simone Schroot. „Es gab immer viele Besichtigungen, aber am Anfang stand erstmal mal nur ein Haus. Es war noch Baustelle“, so die Maklerin. Viele hätten sich nicht vorstellen können, wie der Wohncampus im Gesamten später aussehen werde. Mit der Zeit sank die Skepsis und mittlerweile seien über 150 Wohnungen vermietet, so Schroot. Bis 2031 sollen dann insgesamt zehn Häuser entstehen.
Reportage ab dem 12. März 2025, um 18.00 Uhr auf dem YouTube-Kanal HIYA! streamen
Wie sich Anne und Tobias im Wohncampus eingelebt haben, was andere Anwohner aus Neustadt zu dem Projekt sagen und wie die Wohnungsbaugesellschaft GWG dem Leerstand im Viertel die Stirn bietet, zeigt die Reportage „neuBAUstadt – Leben zwischen Platte und Pyramiden“. Zu sehen ist sie am Mittwoch, 12.03.2025, um 18 Uhr auf dem YouTube-Kanal HIYA!.
Das audiovisuelle Projekt ist im Rahmen des Masterstudiengangs Multimedia und Autorschaft von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Kooperation mit der Mitteldeutschen Zeitung entstanden.