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Liveblog zur Regierungskrise Rot-Grün, Vertrauensfrage und Neuwahlen: Deutschland in der Ampel-Krise

Die Ampel ist Geschichte. Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz Bundesfinanzminister Linder entlassen hatte, kündigte der SPD-Politiker an, die Vertrauensfrage stellen zu wollen. Die Zeichen stehen auf Neuwahlen im März 2025.

Von dpa Aktualisiert: 07.11.2024, 10:43
Nach dem Ampel-Aus: Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt die Vertrauensfrage an. Die Zeichen stehen auf Neuwahlen.
Nach dem Ampel-Aus: Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt die Vertrauensfrage an. Die Zeichen stehen auf Neuwahlen. Foto: dpa

Berlin. - Nach dem dramatischen Platzen der Ampel-Koalition werden am Donnerstag die Scherben zusammengekehrt. Nach einem beispiellosen Streit entließ Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwochabend Finanzminister Christian Lindner, daraufhin traten zwei der drei anderen FDP-Minister zurück. Die rot-gelb-grüne Ampel-Regierung ist Geschichte.

Bundesregierung geplatzt - alle aktuellen Entwicklungen im Live-Blog

Der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach einem beispiellosen Zerwürfnis gefeuerte Finanzminister Christian Lindner (FDP) erhält am Nachmittag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Entlassungsurkunde. Scholz, der Lindner mehrfachen Vertrauensbruch und Kleinkariertheit vorgeworfen hat, wird wohl dabei sein - jedenfalls ist das so üblich.

Um einen fließenden Übergang zu gewährleisten, soll sofort anschließend Lindners Nachfolger oder Nachfolgerin die Ernennungsurkunde erhalten. Der bisherige Wirtschaftsberater von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Jörg Kukies, soll übernehmen.

Auch die Posten, die durch den angekündigten Rücktritt der anderen FDP-Minister frei werden, sollen möglicherweise schon am Mittwoch neu besetzt werden - von SPD und Grünen.

Ein Minister bleibt hingegen: Bundesverkehrsminister Volker Wissing will trotz des Bruchs der Ampel-Koalition bis zur geplanten Neuwahl im Amt bleiben und tritt aus der FDP aus. Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe ihn gefragt, ob er bereit sei, das Amt unter den neuen Bedingungen fortzuführen, sagte Wissing in Berlin. Er habe darüber nachgedacht und dies Scholz gegenüber bejaht.

Lesen Sie hier: Das sagt die FDP Sachsen-Anhalt zum Ampel-Aus in Berlin

Ampel-Aus bedeutet Rückkehr von Rot-Grün nach 19 Jahren

Damit gibt es dann zum ersten Mal seit 2005 wieder eine rot-grüne Regierung, die allerdings keine Mehrheit im Parlament hat. Sie soll auch nur für eine Übergangsphase bestehen, von der man noch nicht genau weiß, wie lange sie dauern wird.

Am 15. Januar will Scholz die Vertrauensfrage im Bundestag stellen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Die muss wegen zweier im Grundgesetz verankerter Fristen von insgesamt 81 Tagen spätestens Anfang April stattfinden. Als wahrscheinlichster Termin gilt derzeit der 30. März, weil dann in keinem Bundesland Ferien sind.

Der Bruch der ersten Koalition von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene war am Mittwochabend nach einem erbitterten Richtungsstreit vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik erfolgt.

Scholz hatte in den Verhandlungen unter anderem ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse gefordert. Angesichts der verfahrenen Lage hatte Lindner dann in der Sitzung des Koalitionsausschusses mit allen Partei- und Fraktionsspitzen am Mittwochabend vorgeschlagen, gemeinsam eine Neuwahl des Bundestags in die Wege zu leiten.

In einer anschließenden Sitzungspause landete der Lindner-Vorschlag in der Öffentlichkeit, mehrere Medien berichteten darüber, woraufhin Scholz den Bundespräsidenten um die Entlassung seines Finanzministers bat. Als Reaktion zog die FDP alle ihre Minister aus dem schon seit vielen Monaten heillos zerstrittenen Dreier-Bündnis ab - und besiegelte somit das Ende der Ampel.

Scholz rechnet knallhart mit Lindner ab

Die offensichtlich schon länger vorbereitete Rede des Kanzlers, in der er den Rausschmiss Lindners ankündigte, wurde von vielen Parteifreunden später als der beste Auftritt seiner Amtszeit gelobt. Sie war vor allem eine knallharte Abrechnung mit dem Finanzminister.

Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. «Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.» Es gebe deswegen keine Basis für die weitere Zusammenarbeit. «So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich.»

Bruch der Ampel-Koalition und gegenseitige Vorwürfe

Der entlassene FDP-Chef gab die Vorwürfe an Scholz zurück. Der SPD-Politiker habe den Bruch der Ampel-Koalition gezielt herbeigeführt. «Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition», sagte Lindner. Damit führe Scholz Deutschland in eine Phase der Unsicherheit.

Lindner warf SPD und Grünen vor, seine Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert zu haben. Scholz habe die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost.

«Seine Gegenvorschläge sind matt, unambitioniert und leisten keinen Beitrag, um die grundlegende Wachstumsschwäche unseres Landes zu überwinden, damit wir unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherung und unsere ökologische Verantwortung erhalten können.»

Scholz habe ultimativ von ihm verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen, sagte Lindner. «Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte. Deshalb hat der Bundeskanzler in der Sitzung des Koalitionsausschusses am heutigen Abend die Zusammenarbeit mit mir und der FDP aufgekündigt.»

Fraktionschef Christian Dürr kündigte an, alle FDP-Minister wollten ihren Rücktritt geschlossen beim Bundespräsidenten einreichen. Neben Lindner sind das Verkehrsminister Volker Wissing, Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.

SPD und Grüne werden ab sofort ohne Mehrheit regieren und sind bei jeder Entscheidung im Parlament auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen.

Neue Allianzen: Scholz will auf auf Merz zugehen

Nach dem Bruch der Ampel-Koalition trifft sich Bundeskanzler Olaf Scholz heute Mittag mit Oppositionsführer Friedrich Merz im Kanzleramt, um über das weitere Vorgehen bis zu einer Neuwahl zu beraten. Scholz will die Vertrauensfrage im Bundestag erst am 15. Januar stellen und dann eine vorgezogene Bundestagswahl Ende März herbeiführen. Merz ist das zu spät. Er hat Scholz aufgefordert, die Vertrauensfrage «spätestens Anfang nächster Woche» zu stellen, um eine Wahl in der zweiten Januarhälfte herbeizuführen.

«Wir können es uns einfach nicht leisten, jetzt über mehrere Monate hin eine Regierung ohne Mehrheit in Deutschland zu haben und anschließend über weitere Monate einen Wahlkampf zu führen und dann möglicherweise mehrere Wochen Koalitionsverhandlungen zu führen», sagte Merz am Morgen. «Das muss jetzt schnell gehen. Und deswegen werde ich auch den Bundeskanzler heute Mittag in einem Gespräch darum bitten, den Weg dafür frei zu machen. Und ich werde dementsprechend auch meine Argumente bei einem später folgenden Gespräch mit dem Herrn Bundespräsidenten vortragen.»

Scholz bekräftigte fast gleichzeitig, dass er die Vertrauensfrage erst am 15. Januar stellen wolle. «Die Bürgerinnen und Bürger werden bald die Gelegenheit haben, neu zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Das ist ihr gutes Recht. Ich werde deshalb Anfang des nächsten Jahres im Bundestag die Vertrauensfrage stellen.»