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Kleine Rebellen Wie meistern Eltern die Trotzphase ihres Kindes?

Schmollen, Enttäuschung, Wutanfall: Kinder benötigen diese Phase auf dem Weg zur Selbstständigkeit. Wenn Eltern jetzt richtig handeln, profitieren die Kinder davon auch später im Leben.

Von Evelyn Steinbach, dpa Aktualisiert: 27.06.2022, 17:07
Im Alter zwischen zwei und sechs Jahren können simple Situationen heftigen Trotz auslösen.
Im Alter zwischen zwei und sechs Jahren können simple Situationen heftigen Trotz auslösen. Christin Klose/dpa-tmn

Friedrichswalde/Wiesbaden - Ihr Kind läuft weg, statt sich die Jacke anzuziehen? Weint, wenn es nicht das bekommt, was es gerade will? Im Alter zwischen zwei und sechs Jahren können simple Situationen heftigen Trotz auslösen.

Für Eltern ist die Autonomiephase, wie man die Zeit der beginnenden Selbstständigkeit des Kleinkindes nennt, oft belastend. Wie reagiert man auf Wutanfälle? Und wie können Kinder lernen, mit Gefühlsausbrüchen umzugehen? Ein paar Expertentipps.

Kinder wissen schon früh, was sie wollen. Und das teilen sie deutlich mit. „Trotz beginnt schon in der Babyzeit“, erzählt die Pädagogin und Buchautorin Susanne Mierau. Zum Beispiel wenn es sich abwendet und nicht wickeln lassen will, so die Expertin. Noch schafft man es, das Baby abzulenken. Ab zwei Jahren wird das schwieriger. Die Sprache kommt dazu, die Kinder werden stärker und motorisch geschickter. Ein lautstarkes „Nein“ oder „Ich will aber nicht“ ist nicht mehr zu überhören.

„Die Hochphase der Autonomiebestrebungen liegt bei drei bis vier Jahren“, sagt Sebastian Arnold vom Berufsverband der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutinnen und -therapeuten (bkj). „Kinder lernen in dieser Zeit, dass sie einen eigenen Willen haben und bestimmen können, kommen aber in ihrem Ausdruck an ihre Grenzen.“ Eltern sollten die Phase gut begleiten. Denn „wie Kinder sie durchleben, hat Auswirkungen auf das gesamte Leben“, so Mierau.

Wut akzeptieren - das Kind kann noch nicht anders

Frust und Enttäuschung gehören im Alltag von Kleinkindern, wo viel Neues entdeckt wird, dazu. „Das Gehirn befindet sich noch in der Reifung“, sagt Arnold. Kinder müssen erst lernen, mit ihren Gefühlen umzugehen. „Eine Trotzreaktion ist wie ein Kurzschluss“, meint er. „Die Sicherung brennt durch und es fehlt noch an einem Weg daran vorbei.“

Gleichzeitig lernt das Kind viel über seine Wirkung auf andere. „Wenn Kinder ihre Eltern ärgern, dann vor dem Hintergrund zu schauen, was sie bewirken können“, so der Familientherapeut. Bewusstes provozieren stecke nicht dahinter, das können sie erst viel später.

Nicht in alte Muster verfallen

Trotzen ist demnach kein Fehlverhalten, sondern eine innere Not, die raus muss. „Wenn Gefühle unterdrückt werden, kommen sie später als Bumerang zurück“, weiß Arnold. Oft seien solche Kinder dann im Grundschulalter oder in der Pubertät auffälliger.

Susanne Mierau warnt vor alten Erziehungsstilen: „Kinder mussten früher gehorchen, sie durften keinen eigenen Willen zeigen, und wenn doch, so wurden Strafen eingesetzt, um diesen zu unterdrücken“, erzählt sie. Die Worte klingen heute noch in uns nach.

Ruhig bleiben, durchatmen, da sein

Besser ist, in einer Trotzreaktion ruhig zu bleiben, durchzuatmen und abzuwarten, so der Experte. „Oft hilft es, den Wutanfall auszusitzen und einfach in der Nähe des Kindes zu bleiben - etwa mit Körperkontakt, wenn es das zulässt“, sagt er. Auf das Kind einzureden, bringt wenig. „Die vielen Worte kommen gar nicht an.“ Äußert sich die Wut körperlich, sollten Eltern sagen: „Mir tut es weh, wenn du mich haust.“ Selbst laut und wütend zu werden, ist keine gute Idee. „Das verschlechtert die Situation“, sagt Mierau.

Über die Wut sprechen

Klingt der Protest ab, sollten Kinder aus ihrem Verhalten lernen. Arnold empfiehlt, kurz über die Situation zu sprechen, um ihnen Worte für ihre Wut zu geben. Ebenfalls sinnvoll sind Lösungen, um den Frust abzuleiten. „Statt ein anderes Kind zu hauen, kann es mit den Füßen stampfen oder in ein Kissen boxen“, so Mierau. Eltern sollten in den Gesprächen mit ihren Kindern „immer signalisieren, dass sie es lieben“, sagt sie. „Obwohl Kinder nach mehr Autonomie streben, brauchen sie eine feste Bindung zu den Eltern.“

Verständnis zeigen und Alternativen bieten

„Eltern sollten auch Verständnis für die Gefühle ihrer Kinder zeigen und zum Beispiel sagen: Ich kann verstehen, dass du gern Schokolade isst“, rät Arnold. Trotzdem müssen sie nicht nachgeben („wir kaufen sie heute nicht“), können aber eine Alternative anbieten: etwas anderes zu essen oder einen Halt auf dem Spielplatz. Auch wenn Emotionen erst mal überwiegen: „Kinder sind sehr bereit, sich auf Alternativen einzulassen“, sagt er. Wenn sie zudem kleine Dinge im Alltag mitentscheiden dürfen, werden sie insgesamt zufriedener.

Selbstständigkeit und Kooperationen zulassen

Wer weiß, wie Kinder denken, fühlen und handeln, kann manche Konflikte vermeiden. Pädagogin Mierau empfiehlt dazu, Kindern mehr Selbstständigkeit zuzutrauen. Denn das fordern sie ein. Wenn das Kind sich zum Beispiel nicht anziehen will, „kann es lernen, was für Kleidung es braucht und diese selbst aus dem Schrank nehmen“, sagt sie. Im Gegenzug sollten Eltern nicht vorschnell „nein“ sagen, wenn es mitmachen, helfen oder etwas Neues ausprobieren will.

„Manche Kinder hören im Alltag so viel nein, dass sie frustriert sind“, sagt sie. „Ein weiteres Stopp oder Nein der Eltern wird dann regelrecht überhört.“ In Gefahrensituationen kann dies zum Problem werden.

Feste Regeln und Abläufe geben Halt

„Im Alltag helfen klare Regeln und ritualisierte Abläufe, damit weniger Frust entsteht“, sagt Sebastian Arnold. Insbesondere morgens und abends, wenn Kinder (noch) müde sind. Ebenso kann das Aufräumen ein festes Ritual sein. „Jeden Tag zehn Minuten oder solange die Musik läuft“, empfiehlt Mierau.

Kinder brauchen Grenzen, auch wenn diese hin und wieder ausgetestet werden. „Eltern dürfen nachgeben. Es sollte aber Dinge geben, die nicht verhandelbar sind, wie zum Beispiel in die Steckdose fassen oder auf die Straße rennen“, sagt sie. Konsequenz ist auch bei gesundheitlichen Themen wichtig. Wenn das Kind nicht die Zähne putzen mag, kann man „ausprobieren, was gefällt: eine bunte Zahnpasta, eine elektrische Zahnbürste, ein Zahnputzlied oder einfach ein anderer Zahnputzort“, sagt sie. Manchmal helfen auch positive Worte: „Wenn wir jetzt die Zähne putzen, habe ich gleich viel mehr Zeit, dir vorzulesen“, so Arnold.

Ein Vorbild sein

Wie das Kind den Frust bewältigt, hängt auch von seinen Vorbildern ab. „Wenn Eltern gut mit Konflikten und Streit umgehen können, kann das Kind es gut lernen“, sagt Sebastian Arnold. „Wenn man aber selbst beleidigt in der Ecke sitzt oder sehr laut und aufbrausend ist, wird das Kind es übernehmen.“

Wichtig ist auch, dass Eltern und Bezugspersonen die Wutanfälle nicht persönlich nehmen. „Sie verstehen zwar mit der Zeit, dass ihr Gegenüber traurig ist, können dies aber nicht mit dem eigenen Verhalten verknüpfen“, erklärt er. Die Entwicklung von Empathie entstehe erst mit beginnendem Grundschulalter.

„Nach der Trotzphase sollten Kinder sozialverträglicher mit Wutsituationen umgehen können“, so Mierau. Ein Nein der Eltern führe dann nicht mehr so oft zu einem starken emotionalen Ausdruck, sondern zu einer Diskussion. Was für Eltern angenehmer ist.

Literatur:

Susanne Mierau: „Ich! Will! Aber! Nicht! Die Trotzphase verstehen und gelassen meistern“, , Verlag Gräfe und Unzer, 144 Seiten, 16,99 Euro, ISBN: 978-3-8338-6021-8.

Susanne Mierau: „Geborgen wachsen: Wie Kinder glücklich groß werden und Eltern entspannt bleiben“, Kösel-Verlag, 176 Seiten, 17 Euro, ISBN: 978-3-466-31062-3.