Generalüberholung 600 Pfeifen unter der Lupe des Fachmanns
Die Berger Kirchenorgel wurde 1885 von Robert Voigt aus Stendal erbaut. Martin Lodahl und sein Kollege setzen sie wieder in Stand.
Berge l Stück für Stück wird sie derzeit auseinander gebaut und alle Teile genauestens unter die Lupe genommen – die Orgel in der Berger Kirche, die aufgrund ihrer Ausmalung auch die sixtinische Kapelle der Altmark genannt wird. Die Königin der Instrumente wird im Rahmen des Glocken- und Orgelprojektes der Kirchengemeinde Berge-Ackendorf gereinigt und, wenn nötig, repariert. Damit beauftragt ist der Glockenbauer Martin Lodahl aus Dingelstedt am Huy, der seit Montag mit seinem Kollegen Thomas Filter vor Ort ist.
Wie Lodahl erzählte, hat er schon mehrere Orgeln von Robert Voigt unter seinen Händen gehabt. Und doch ist die Berger Orgel, die der Stendaler 1885 erbaute, etwas Besonderes. Denn sie wurde mit einer mechanischen Kegellade gebaut, was im Orgelbau nur eine Episode von rund 15 Jahren darstellt – eine sehr kurze Zeit. Ihre schwere Handhabbarkeit habe sich nicht durchsetzen können, erklärte Lodahl. Das bezog sich zum einen auf den Bau an sich. Zum anderen war das Instrument schwieriger zu spielen. Durch jedes hinzukommende Register wurde der Tastendruck höher. Der Vorteil war gegenüber der vorherigen mechanischen Schleiflade, dass es eine stabilere Windversorgung gab und mehr Register im Werk möglich waren. Ab 1890 setzte sich dann die Pneumatik durch. Statt dünner Holzleisten, Winkel und Wellen sorgten nun Röhren dafür, dass der gesamte Mechanismus der Registerschaltung durch Luftdruck geregelt wird.
Was noch faszinierend an der Berger Orgel für Lodahl ist: „Sie ist weitestgehend im Original erhalten. Ich schätze zu 95 Prozent.“ Nur Kleinigkeiten wurden bei vorangehenden Sanierungen, wie beispielsweise in den 1960-er Jahren, als ein elektronisches Windgebläse der Firma Böhm eingebaut wurde, und Instandsetzungen wie in den 90-er Jahren von Orgelbauer Jörg Dutschke, ausgetauscht. Original ist der zur Erzeugung des Spielwinds notwendige Schöpfbalg, der in Berge ein Keilbalg ist. Für diesen ist auch noch der alte Fußtritt vorhanden, der nach der Elektrifizierung in der Ecke stand, denn Muskelkraft war nun nicht mehr vonnöten, um die Orgel zum Klingen zu bringen. Nun soll er aber wieder angebaut werden, was auch Lodahl freut. Denn Orgeln haben für ihn, wie er sagte, auch einen „musealen Anspruch“, um altes Wissen und Handwerk weiterzugeben. Für die Jugend von heute sei es nämlich oft nicht mehr vorstellbar, dass einiges auch ohne Strom funktionieren könne, sogar so ein komplexes Instrument wie eine Orgel.
Die Berger Orgel aus der Zeit der Romantik ist, wie Lodahl sagte, ein kleines Instrument, aber für den Kirchenraum angemessen. Sie besteht aus 600 Pfeifen, die auf zwölf Register in zwei Manualen und verschiedenen Pedalen aufgeteilt sind. Auch die Prospektpfeifen, das heißt die sichtbaren Pfeifen, sind klingend und im Original erhalten, was kaum noch der Fall ist. Denn viele von ihnen, wie auch metallene Glocken, berichtete Lodahl, wurden 1917 abgebaut und eingeschmolzen, als das deutsche Volk im Ersten Weltkrieg zur Metallspende für die Rüstungsindustrie aufgerufen war. „Das war ein schreckliches Jahr für Orgeln“, so Lodahl, doch die Berger Pfeifen haben das überlebt.
Die Prospektpfeifen bestehen aus einer hochwertigen, zirka 80-prozentigen Zinnlegierung. Der Rest sind Blei und einige andere Stoffe. Allerdings haben ihr Aussehen dank Fledermauskot gelitten. Weiße Flecken haben sich eingeätzt. „Wir werden versuchen, das Weiß in Richtung der natürlichen Patinafarbe abzudämpfen“, erklärte der Orgelbauer, übermalen sei keine Option. Sollte dies gelingen, wäre die Arbeit von Lodahl und seinem Kollegen auch von außen sichtbar. „Man sieht sonst nicht, was wir machen“, lachte der Orgelbauer, obwohl die Arbeit an der Orgel einige Wochen in Anspruch nehmen wird.
Denn dazu gehören unter anderem der Ausbau des Pfeifenwerks, seine Reinigung und Überholung, die Reparatur defekter Pfeifen, die Durchsicht und das Abdichten der Windanlage, des Magazinbalges und der Kanäle, die Reinigung der Windladen von außen und innen, die Durchsicht der Tonmechanik – das heißt, alle Lager im ersten und zweiten Manual werden wieder gangbar gemacht und, wenn notwendig, die Abstraktendrähte der Pedaltonmechanik erneuert – sowie die Durchsicht und Überprüfung der Registermechanik. Dazu komme die Neueinstellung des Tastenspiels der Klaviatur, die derzeit unterschiedlich sei. Im Anschluss müsse alles wieder eingebaut werden. Zum Abschluss erfolge die Nachintonation und Stimmung aller Pfeifen.
Ziel der Generalüberholung ist laut Lodahl, dass das Instrument in Zukunft wieder zuverlässig funktioniert, auch wenn es im Gegensatz zu früher nur unregelmäßig und selten gespielt wird. Galt es früher bei Instandsetzungen zumeist Verschleißteile auszutauschen, sei heute die Gefahr des Einrostens gegeben. Ende Juli soll die Orgel in der Berger Kirche wieder klingen. Damit ist die Kirchengemeinde wieder einen Schritt weiter auf ihrem Weg zur Umsetzung ihres Glocken- und Orgelprojektes, für das Spenden immer noch gern gesehen sind. In die Instandsetzung der Orgel wird laut Olaf Sturm, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates, ein fünfstelliger Betrag im mittleren Bereich investiert, der sich aus Eigenmitteln der Kirchengemeinde sowie Fördermitteln von der Landeskirche, vom Kirchenkreis Salzwedel und der Stiftung Orgelklang zusammensetzt.