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Holocaust-Gedenktag Dunkles Kapitel der Zerbster Geschichte ist die Auslöschung der jüdischen Gemeinde - selbst vor Kindern machten Nazis nicht halt

Am 27. Januar ist Holocaust-Gedenktag. Es ist der Tag, an dem die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreite. Auch Zerbster Juden wurden in dem KZ ermordet. Heute erinnern Stolpersteine an die jüdische Gemeinde.

Von Daniela Apel 25.01.2025, 06:30
41 Stolpersteine erinnern in Zerbst an jüdische Mitbürger, die von den Nazis deportiert und ermordet wurden.
41 Stolpersteine erinnern in Zerbst an jüdische Mitbürger, die von den Nazis deportiert und ermordet wurden. Foto: Franziska Werner

Zerbst - Fast sechs Millionen Juden fielen dem Holocaust zum Opfer. Auch vor Zerbst machte der Völkermord der Nationalsozialisten keinen Halt. Im Gegenteil. Die jüdische Gemeinde der Stadt wurde im Dritten Reich ausgelöscht. Im Dezember 1942 erfolgte die Deportation der letzten verbliebenen Kinder, Frauen und Männer. Unter ihnen befand sich ebenfalls Denny Friedmann mit seiner Familie. Gerade mal ein Jahr alt war er, als er wie seine beiden Schwestern und die Eltern im Vernichtungslager von Treblinka ermordet wurden.

An ihr Schicksal erinnern heute Stolpersteine, verlegt im Gehwegpflaster am nördlichen Ende der Wolfsbrücke. Insgesamt 41 dieser Gedenktafeln aus Messing finden sich an 13 verschiedenen Stellen in der Stadt. Es handelt sich um die letzten Wohnadressen jüdischer Bürger, die in Folge des Rassenhasses der Nazis ihr Leben lassen mussten. Initiator des Projektes ist der Berliner Künstler Gunter Demnig, der im März 2010 die ersten der etwa zehn mal zehn Zentimeter großen Steine in Zerbst verlegte. 2011 und 2020 folgten weitere.

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Es sind stumme Zeugen des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte, in dem die Novemberpogrome eine der schrecklichen Episoden sind. In der Zerbster Tageszeitung wurde damals „zur Abrechnung mit den Juden, der feindlichen Brut inmitten unter uns“ aufgerufen – einschließlich der Veröffentlichung der Namen und Adressen aller jüdischen Bewohner der Stadt. Der geschürte Hass sollte seine vernichtende Wirkung entfalten, wie Hermann Fräßdorf im Zerbster Heimatkalender von 1960 wie folgt schilderte:

Zerbster erinnert sich an die Novemberpogrome 1938

„Ich erinnere mich noch sehr gut an diese furchtbare Nacht. Ich habe damals beim Viehhändler Max Wachtel, der Jude war, in der Leopoldstraße 5, der jetzigen Karl-Marx-Straße, gewohnt. An diesem Tage, es war der 9. November 1938, kam ich um 22.15 Uhr nach Hause. Meine Frau erzählte mir, daß sie in Paris jemand erschossen hätten. Damals kannte ich die Zusammenhänge nicht, und wir legten deshalb der Sache keine große Bedeutung bei.

Um 1910 entstand dieses Foto von der Zerbster Synagoge.
Um 1910 entstand dieses Foto von der Zerbster Synagoge.
Quelle: Museum der Stadt Zerbst

Kaum hatten wir eine Stunde geschlafen, da ging auf der Straße ein furchtbarer Spektakel los: Der erste Trupp Faschisten kam, mit Steinen bewaffnet. Unter dem Gegröl >ihr Judenschweine, ihr Judensäue, raus mit euch!< warfen sie sämtliche Fensterscheiben entzwei. Auch die Scheiben des Bücherrevisors Lomsché, der kein Jude war, mußten daran glauben. Herr und Frau Wachtel kamen zu uns herunter. Wir warteten ab, was weiter geschah.

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Als der Trupp wieder abgerückt war, gingen wir zu Wachtels in die Wohnung und ließen sämtliche Rolläden herunter. Herr Lomsché hatte bei der Polizei angerufen, aber niemand kam: Man hatte angeblich keine Zeit. Wir legten uns darauf hin, denn wir nahmen an, wir hätten nun wieder Ruhe. Was inzwischen in der Stadt geschehen war, wußten wir ja nicht. Dort hatten die Faschisten sämtliche jüdischen Geschäfte zerstört.

Nazis richten unbeschreibliche Zerstörung in Zerbst an

Nach 24 Uhr kam der richtige Zerstörungstrupp der Braunen. Sie hatten Hämmer und Brecheisen bei sich. Damit schlugen sie alles entzwei und brachen sämtliche Türen auf. Herrn und Frau Wachtel schloß ich in den Keller ein. Ich sagte: ,Halten Sie sich ganz ruhig.’ Als aber die Nazis grölten: ,Wo sind die Judenschweine? Die schlagen wir tot, euch Judenfreunde auch!’, da stiegen Wachtels aus dem Kellerfenster und versteckten sich im Garten.

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Ungefähr um 2.30 Uhr rückten die Nazis wieder ab. Das schien der letzte Trupp gewesen zu sein. Wachtels kamen zurück. Ich ging mit ihnen in die Wohnung. Es ist unbeschreiblich, wie die Faschisten gehaust hatten: In der Küche lag die Butter zertreten, und die Marmelade klebte an den Wänden. Alles war zerschlagen. Im Wohnzimmer war die Platte vom Schreibtisch abgerissen worden, das große Büfett war umgekippt, der ganze Inhalt, das Telefon und andere Sachen lagen zerstört auf der Straße. Die großen Spiegelscheiben waren zertrümmert. Die Kassette mit dem Geld, die Herr Wachtel im Kleiderschrank aufbewahrte, war gestohlen.“

In der Grünen Straße im Ankuhn befindet sich der jüdische Friedhof von Zerbst.
In der Grünen Straße im Ankuhn befindet sich der jüdische Friedhof von Zerbst.
Foto: Daniela Apel

Hermann Fräßdorf endete seinen Bericht im Heimatkalender mit den Worten: „Denkt daran, wohin ein solcher Rassenhaß uns alle führte!“ Frieda und Max Wachtel überlebten ihn nicht. Sie wurden 1942 zunächst nach Theresienstadt deportiert und von dort zusammen mit vier weiteren Zerbstern 1944 nach Auschwitz, wo sie ermordet worden.

Zerbster Bündnis für Demkratie lädt zu Stolperstein-Spaziergang

Das Konzentrationslager (KZ) Auschwitz wurde zum Synonym für den Holocaust, mehr als eine Millionen Menschen wurden hier umgebracht. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das KZ. Seit 2005 ist der 27. Januar Holocaust-Gedenktag. Das Zerbster Bündnis für Demokratie nimmt das Datum zum Anlass für einen Stolperstein-Spaziergang, bei dem an die Schicksale von jüdischen Bürgern der Stadt erinnert wird.

Der Stolperstein-Spaziergang durch Zerbst unter der Leitung von Agnes-Almuth Griesbach startet am 27. Januar 2025 um 16 Uhr am Museum am Weinberg. Der Weg führt unter anderem vorbei am Standort der ehemaligen Synagoge und endet am Gegendenkmal zur sogenannten „Judensau“ an der Ruine der Nicolaikirche.