Neuregelung Sachsen-Anhalt bremst bei Behindertenhilfe
Die Landesregierung will mehr Betroffene in den ersten Arbeitsmarkt integrieren und den drastischen Ausgaben-Anstieg für den Bereich in den Griff bekommen. Von Trägern kommt scharfe Kritik.
Magdeburg - Sachsen-Anhalt will mehr Menschen mit Behinderung im Land in den ersten Arbeitsmarkt integrieren und zugleich den Anstieg von Sozialausgaben in dem Bereich deutlich bremsen.
Im Kern geht es um Sozialleistungen, die letztlich die Träger von Behindertenwerkstätten, Wohneinrichtungen oder integrativen Kitas für ihre Arbeit und ihr Personal bekommen.
Das Kabinett hat dazu gestern eine Übergangsverordnung zur Zahlung der sogenannten Eingliederungshilfe beschlossen. Sie soll zum 1. Januar in Kraft treten. Einen bislang bestehenden Rahmenvertrag mit den Trägern von Einrichtungen hatte das Land zuvor gekündigt.
Sachsen-Anhalt Schlusslicht bei Integration in den Arbeitsmarkt
„Die Form der gesetzlich geregelten Hilfen für Menschen mit Behinderungen muss geändert werden“, sagte Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) zur Begründung gestern in der Landespressekonferenz. Denn: Sachsen-Anhalt habe mit allein 33 Werkstätten (mit rund 10.500 Beschäftigten) bundesweit die höchste Dichte an stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen - zugleich aber ein nur relativ geringes Angebot ambulanter Leistungen.
„Wir wollen weg von pauschal vorgehaltenen Komplexleistungen und Angeboten der Einrichtungen hin zu den Wünschen und Bedarfen jedes Einzelnen. Da haben wir im Land großen Nachholbedarf“, betonte Grimm-Benne. Die Ministerin verwies darauf, dass das Land mit dem jetzigen Status die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention sowie des Bundesteilhabegesetzes nur bedingt erfülle.
Nur 3,3 Prozent aller Arbeitsplätze im Land durch Schwerbehinderte besetzt
Tatsächlich lag der Anteil der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen an allen Arbeitsplätzen in Sachsen-Anhalt zuletzt (2021) laut Arbeitsagentur bei nur 3,3 Prozent - das war deutschlandweit der schlechteste Wert. Der Bundesschnitt lag demnach bei 4,6 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern lag der Wert bei 5 Prozent.
Ein Sozialabbau zulasten der Menschen mit Behinderung ist nicht zu befürchten.
Petra Grimm-Benne (SPD), Sozialministerin von Sachsen-Anhalt
Künftig sollen als Antwort auf die Entwicklung daher „maßgeschneiderte Angebote“ mit frei wählbaren Modulen die bisherigen Komplexleistungen ersetzen, so die Ministerin. „Es gibt Menschen, die brauchen jeden Tag eine Tagesstruktur, manche brauchen die gar nicht, manche brauchen eine Einkaufseinhilfe, andere können allein gehen.“
Stark gestiegene Ausgaben: Von 572 auf 711 Millionen Euro im Jahr
Anlass für die Übergangsverordnung sind daneben indes auch drastisch gestiegene Ausgaben für die Eingliederungshilfe. Bei einer gleichbleibenden Zahl von rund 31.000 Leistungsbeziehern mit Behinderung stiegen diese von 572 Millionen Euro im Jahr 2021 auf voraussichtlich 711 Millionen Euro im kommenden Jahr, sagte Grimm-Benne. Für 2026 seien sogar 723 Millionen Euro eingeplant.
Grund seien unter anderem Tarifsteigerungen. Mit den jetzt eingeführten „kleinen Stellschrauben“ wolle man nicht kürzen, sondern den aktuellen Stand lediglich halten. Grimm-Benne ergänzte: „Ein Sozialabbau zulasten der Menschen mit Behinderung ist nicht zu befürchten.“ Aktuelle Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen mit Trägern würden bis zu einem neuen Rahmenvertrag weiter gelten.
Träger von Werkstätten warnen vor Sozial- und Personalabbau
Die Liga der freien Wohlfahrtsverbände, darunter viele Träger von Einrichtungen für Behinderte, sieht das anders. In einem offenen Brief hatte sie sich im November an Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gewandt und vor Sozialabbau bei der Eingliederungshilfe gewarnt. Demnach hätten die Kürzungen zur Folge, dass je nach Leistungsbereich Personalreduzierungen von 30 bis 60 Prozent zu erwarten seien. Im Oktober und erneut im Dezember hatten jeweils Tausende Mitarbeiter von Werkstätten und anderen Einrichtungen für Behinderte in Magdeburg gegen die Pläne demonstriert.
Grimm-Benne wies die Kritik gestern zurück. Bei der Übergangsregelung habe man Bedenken der Träger aufgenommen. Mit den Regelungen sei ein Rahmen für einen künftigen, neuen Vertrag auf Landesebene gesetzt. „Wir erwarten, dass auch die Liga sich jetzt auf uns zubewegt.“