Recycling von Plastik, Saftresten & Frittenfett Uni Magdeburg hat beste Chancen auf Exzellenzförderung
Ein Forschungscluster an der Uni Magdeburg tüftelt an der Wiederverwendung von Müll aus Kunststoffen, Möbeln oder Frittenfett. Ziel ist eine grüne Kreislaufwirtschaft. Mit etwas Glück könnte der Cluster jetzt eine 70-Millionen-Euro-Förderung bekommen.
![Kunststoffflasche im Meer: Im Pazifik treibt ein Plastikstrudel auf einer Fläche viermal so groß wie Deutschland.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/13/5bcadd9e-ee42-4978-a871-b8bce5c69617.jpeg?rect=0%2C0%2C3840%2C2160&w=1024&auto=format)
Magdeburg - Die neue Amtszeit von US-Präsident Donald Trump war gerade ein paar Stunden alt, da verkündete der Republikaner die Rückkehr seines Landes ins Ölzeitalter: „Wir werden wieder eine reiche Nation sein, und es ist das flüssige Gold unter unseren Füßen, das uns dabei helfen wird“, sagte Trump. Öl und Gas aus dem eigenen Land sollen den Vereinigten Staaten also zu einer nie gekannten Blüte verhelfen.
Allein: Selbst Trump dürfte den Umbau der Weltwirtschaft hin zu einer grüneren Ökonomie allenfalls bremsen. Der Grund: Die Ressourcen des Planeten sind immer spürbarer begrenzt. Schon jetzt hat der Mensch das Gesicht der Erde in nie gekannter Weise verändert.
Fossiler „Rollback“ in den USA - Öl und Gas heizen den Klimawandel an
2023 erreichten die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen laut Statista mit 38 Milliarden Tonnen einen weiteren Höchststand. Stößt die Menschheit weiter so viele Emissionen aus, dürfte die globale Durchschnittstemperatur bis 2100 um 2,6 bis 3,1 Grad steigen. Klimaforschern zufolge regional mit fatalen Folgen: Dürren, Starkregen, Hitze, Waldbrände – all das dürfte in Zukunft deutlich häufiger vorkommen. Und der Klimawandel ist nur ein Aspekt.
Plastikstrudel mit 1,8 Billionen Einzelteilen im Pazifik
Acht Milliarden Menschen brauchen auch immer mehr Nahrung und Fläche – und sie produzieren immer mehr Müll. Im Pazifik drehte sich schon 2018 ein Plastikstrudel aus 1,8 Billionen Einzelteilen auf einer Fläche viereinhalb Mal so groß wie Deutschland. Eine interdisziplinäre Magdeburger Forschungsinitiative unter Federführung der Uni Magdeburg will diese unheilvolle Entwicklung nun zumindest an einer Stelle durchbrechen: Smart Process Systems (SmartProSys) heißt der Wissenschaftscluster, der sich der Erforschung einer grünen, weil kohlenstoffneutralen Kreislaufwirtschaft vor allem in der Chemieindustrie verschrieben hat.
![Professor Kai Sundmacher: „Wir geben sehr viele Kunststoffe in den Gelben Sack und trotzdem werden diese meist verbrannt.“](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/13/517a4b80-f317-47c5-8f61-d334f0ae1ef7.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2664&w=1024&auto=format)
Derzeit werden rund 90 Prozent der in der Chemieindustrie eingesetzten Rohstoffe aus fossilen Quellen gewonnen.
Kai Sundmacher, Sprecher des Forschungsclusters SmartProSys
Alles dreht sich dabei um die Frage, wie sich vor allem Plastikmüll und organische Abfälle wieder in Rohstoffe für neue Produkte verwandeln lassen. „Derzeit werden rund 90 Prozent der in der Chemieindustrie eingesetzten Rohstoffe aus fossilen Quellen gewonnen“, sagt Kai Sundmacher, Sprecher von „SmartProSys“, bei einem Treffen mit Forschern in der Universität.
Da Gas, Kohle und Öl aber absehbar knapper werden und ihre Nutzung den Klimawandel beschleunigt, sei es von entscheidender Bedeutung, auf nachhaltige Alternativen umzusteigen, sagt Sundmacher, der an der Uni Professor für Systemverfahrenstechnik ist.
Müll aus Gelbem Sack wird bis heute meist verbrannt
Ein Beispiel? „Wir geben sehr viele Kunststoffe in den Gelben Sack und trotzdem werden diese stofflich meist nicht genutzt, sondern einfach verbrannt“, so der Professor. Das wolle man ändern. Möglich machen sollen das Verfahren, Kunststoffe aus Abfällen wieder in ihre Bausteine zu zerlegen und so Rohstoffe für neue Kunststoffe zu gewinnen.
Forscher lösen Kohlenstoffmoleküle aus Altplastik, Möbeln und Frittenfett
Ansätze untersucht die Forschungsgruppe dabei bereits: So enthalten viele Sporttextilien, Kunststoffteile in Autos oder auch Teppichböden Nylon, das wiederum aus sogenannten Polyamiden besteht. Ein Doktorand des Netzwerks löst diese Polyamide nun in seiner Forschungsarbeit mit unbedenklichen Chemikalien aus dem Altmaterial heraus.
![Labormitarbeiter Martin Uxa und Professorin Sanaz Mostaghim bei einem Versuch: „Wenn wir die Exzellenz-Förderung bekommen, wäre das ein wissenschaftliches Erdbeben für Sachsen-Anhalt“, sagt Mostaghim.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/13/19a4a687-f5df-45e1-b04c-5a25f08f5a76.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2664&w=1024&auto=format)
In ähnlicher Weise ist auch die Wiederverwertung von Holz aus alten Möbeln, von Resten der Papierindustrie, von Rückständen der Fruchtsaft-Herstellung und selbst von altem Frittenfett denkbar. In allen Verfahren geht es darum, hochwertige kohlenstoffhaltige Moleküle wiederzugewinnen, statt dafür auf Gas oder Öl zurückgreifen zu müssen. Die Vorteile: „Wir reduzieren Müll und bekämpfen den Klimawandel, weil wir weniger oder bestenfalls gar keine fossilen Energieträger mehr brauchen“, sagt Sundmacher.
Chemiker, Mathematiker, Politologen und Psychologen forschen zusammen
Die Forschung im Cluster ist dabei bewusst interdisziplinär angelegt. Neben der Uni Magdeburg sind auch das Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg, das Leibniz-Institut für Katalyse in Rostock sowie die Brandenburgische Technische Universität in Cottbus an Bord. Ingenieure, Chemiker, Informatiker, Mathematiker, Sozialwissenschaftler, Politologen und Psychologen – sie alle tüfteln also gemeinsam an Lösungen.
Warum aber so viele Disziplinen für ein im Kern ingenieurwissenschaftliches Forschungsziel? „Mittels KI entwickeln wir Computermodelle, die es uns erlauben, die Zahl der Experimente auf die wirklich sinnvollen zu reduzieren“, sagt etwa Professorin Sanaz Mostaghim von der Uni-Fakultät für Informatik dazu.
Cluster mit 98 Unis im Finale um Exzellenzförderung - 70 Millionen Euro winken
Für Politologen und Psychologen gehe es um die Frage, wie die Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit in die Gesellschaft transportiert werden kann – etwa durch Anreize, ergänzt Kai Sundmacher. Am Ende sei ein ganzheitlicher Ansatz zur Transformation der Wirtschaft das Ziel, der möglichst viele Akteure mitnimmt.
Eine Jury der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hält das Magdeburger Projekt jedenfalls für so vielversprechend, dass „SmartProSys“ es schon jetzt in die Endrunde der Bewerbung um die nächste Runde der Exzellenz-Förderung in Deutschland ab 2026 geschafft hat. Bekommt der Cluster den Zuschlag, wäre es die erste Exzellenz-Förderung für Magdeburg überhaupt. „SmartProSys“ könnte in diesem Fall mit bis zu 70 Millionen Euro DFG-Förderung verteilt auf sieben Jahre rechnen.
Wenn wir die Förderung bekommen, wäre das ein wissenschaftliches Erdbeben für Sachsen-Anhalt.
Sanaz Mostaghim, Professorin für Informatik an der Universität Magdeburg
Die Bedeutung einer Förderung für den Standort könne man gar nicht hoch genug bewerten, sagt Informatikerin Mostaghim: „Wenn wir sie bekommen, wäre das ein wissenschaftliches Erdbeben für Sachsen-Anhalt“, sagt sie.
Im Spannungsfeld zwischen hohen Energiekosten und Klimazielen
Doch bei aller Euphorie: Warum sollte die Wirtschaft ausgerechnet in Zeiten, in denen die USA den fossilen „Roll-Back“ ausrufen und in Deutschland fast täglich Meldungen von Firmen eingehen, die wegen explodierender Energiekosten drohen, ins Ausland zu gehen, an die Umstellung auf eine grüne Kreislaufwirtschaft denken? Kai Sundmacher hat darauf eine klare Antwort: Klimawandel und knapper werdende Ressourcen werden mittelfristig kaum Alternativen zulassen, sagt er und ergänzt: „Wir befinden uns im Spannungsfeld zwischen Energiebedarf und Klimaneutralität.“ Bis 2045 wolle Deutschland klimaneutral sein, bis 2050 die EU.
Ziel: Neue Wege zu Wertschöpfung und Jobs
Im Forschungsvorhaben gehe es genau deshalb gerade darum, energetisch günstige und damit wirtschaftliche Pfade zur Rückgewinnung von Kohlenstoffmolekülen aufzuzeigen. Unternehmen sollen so vor allem auch neue Perspektiven für Wertschöpfung und Jobs aufgezeigt bekommen. Ein denkbares Beispiel sei die Nutzung der Schwarzlauge in der Papierindustrie, sagt Sundmacher. Diese enthalte Lignin, das als Biopolymer in Bäumen für die Verholzung sorgt, aber auch als Rohstoff für Chemikalien interessant ist.
Wir haben die Hand am Pott. Jetzt müssen wir ihn nur noch nach Hause holen.
Armin Willingmann (SPD), Wissenschaftsminister von Sachsen-Anhalt
Ziel des Projekts sei aber auch die Ausgründung von Start-ups aus dem Exzellenzcluster. Absolventen einer noch zu gründenden Graduiertenschule sollen dazu außer in der Wissenschaft auch in der Unternehmensgründung gefördert werden, sagt der Professor.
Am 22. Mai fällt die Jury der DFG ihre Entscheidung, welche der bundesweit noch 98 universitären Forschungsprojekte im Rennen eine Exzellenzförderung erhalten. Die Chancen für Magdeburg stehen gut. 70 Projekte sollen am Ende Geld bekommen. Landeswissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD) jedenfalls ist optimistisch: „Wir haben die Hand am Pott“, sagt er. „Jetzt müssen wir ihn nur noch nach Hause holen.“