Ornithologie: Der Vogel-Pionier von Köthen
Johann Friedrich Naumann begann vor 200 Jahren sein Mammut-Werk zur Naturgeschichte. Das Schloss Köthen widmet sich seiner Arbeit.
Köthen l Weiß, gelb, rot, blau, grün. Die Farben sind eingetrocknet. Dieser Tuschkasten ist etwas Besonderes. Er besteht aus kleinen Muscheln, 18 an der Zahl, in denen Johann Friedrich Naumann (1780 bis 1857) einst seine Farben anrichtete.
Mit diesem Tuschkasten hat Naumann die Vogelwelt gemalt. Hunderte männliche und weibliche Tiere, im Sommer- und Winterkleid, ebenso Jungvögel finden sich in seiner bemerkenswerten „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands“. Vorlage waren von ihm eigenhändig präparierte Tiere, die er selbst fing oder sich aus ganz Europa zuschicken ließ. In Köthen baute er seine Vogelsammlung mit 1300 Präparaten auf, war Kurator am Herzoglichen Vogelcabinet. Seit 1835 beherbergt der Ferdinandsbau des Köthener Schlosses die Sammlung des Bauern, Wissenschaftlers, Künstlers. Sein Gesamtwerk gilt seit 2015 als „National wertvolles Kulturgut“ der Bundesrepublik Deutschland.
Jetzt, anlässlich des 200. Jahres des Erscheinens von Naumanns ersten Teilen seiner Naturgeschichte, will das Museum im Schloss eigentlich an seinen Namensgeber und diese Publikation erinnern. Wegen Corona bleibt die kleine Sonderausstellung geschlossen. Schade, denn dieses Jubiläum ist es wahrlich wert, den Ornithologie-Pionier stärker in die Öffentlichkeit zu rücken.
Die Naumanns lebten von der Landwirtschaft, bewirtschafteteten in Ziebigk bei Köthen ein Gut, besaßen das Jagdrecht. Schon der Urgroßvater holte Vögel vom Himmel, wie es so viele in jener Zeit taten. Die Tiere landeten erst im Kochtopf, dann auf den Tellern der Familie. Und weil schon der Großvater von Johann Friedrich wissen wollte, was da auf den Tisch kommt, präparierte er auch. Nachkomme Johann Andreas verfasste dann das Buch „Der Vogelsteller“, eine Anleitung zum Vogelfang. Die Abbildungen darin stammen von Sohn Johann Friedrich. Der war da gerade zehn geworden und Schüler in Dessau. „Ich habe ... wenig über 10 Jahre alt, schon angefangen, Vögel nach der Natur zu malen, und zwar ohne alle weitere Anleitung als das wenige, was mir mein seliger Vater hinsichtlich der Stellung und dergleichen anratend empfahl“, erinnert er sich, als er 52 Jahre alt war.
Naumann hatte nie Zeichenunterricht, aber sein Talent war schon sichtbar in Schulheften und Skizzen. Autodidaktisch eignete sich der wissbegierige Junge verschiedene Techniken an. Weil der Vater nicht zeichnen konnte, übernahm er erste Illustrationen, stand auch zur Seite, als der Vater 1795 mit seiner Arbeit an der „Naturgeschichte der Land- und Wasservögel“ begann.
Das väterliche Werk war Inspiration und Grundstein für die nahtlos anschließenden Arbeiten des Sohnes, der systematisch ordnete und vervollständigte. Mit großer Akribie malte er – nicht nur Vögel. Auch Pflanzen, Landschaften, Porträts.
Anders als die Forscher Charles Darwin und Alexander von Humboldt, die es in entlegene Gebiete der Welt zog, wo sie beobachteten, zeichneten, sammelten, war Naumann kein Reisender. „Er ist gar nicht gereist. Er hat aber mit ganz Europa korrespondiert“, sagt Museumsleiter Bernhard Just. Er habe kein Englisch gekonnt, aber Französisch, zudem, so Just, sei Deutsch Wissenschaftssprache gewesen. Naumann, hochgeehrt damals, habe um gefiederte Mitbringel gebeten, um sie dann abzumalen. Seine Bitt-Briefe gibt es nicht im Haus. Aber Anwortbriefe an Naumann – um die 1000 sind es – gehören zum Nachlass im Museum, ebenso Persönliches wie der eingangs erwähnte Tuschkasten aus Muscheln. Und natürlich die von ihm zusammengestellte Vogelwelt. Er präparierte und schützte in eigens konstruierten Vitrinen die Exponate vor Getier und anderen zerstörerischen Einflüssen.
1815 hatte Naumann sein erstes Buch veröffentlicht. „Taxidermie“ heißt es „oder die Lehre, Thiere aller Klassen am einfachsten und zweckmäßigsten für Kabinette auszustopfen und aufzubewahren“. Er beschreibt, wie er seine Vögel haltbar machte. Ihm ging es darum, wie er einmal sagte, „den auszustopfenden Häuten das Aussehen zu geben, als steckte ein lebendiger Tierkörper noch darin“.
Die Vogelsammlung, so ist es in der kleinen Sonderausstellung zu lesen, war die Voraussetzung für die umfangreiche Naturgeschichte. Museumschef Just sagt, Naumann habe damit die Grundlagen für die moderne Ornithologie gelegt. Erstmalig werde das Leben behandelt, vom Aussehen über die Fortpflanzung und die Stimme, bis hin zum Lebensraum und der Nahrung aller Vögel Mitteleuropas.
Etliche Abbildungen sind als Zeichnungen und Aquarelle erhalten und zeigen seine filigrane Arbeit. Er hat zudem auf Kupferplatten übertragen – für den Seriendruck. Auch in der Ausführung sei seine Akribie zu sehen, sagt Just und erzählt von einer Nachricht Naumanns an die Illuminierer, in der er „größte Accuratesse“ sowie Obacht auf die Farben der Nebendinge forderte.
1821 hat Naumann seine Vogelsammlung an den Herzog von Anhalt-Köthen verkauft. 2000 Taler soll er bekommen haben und dazu den Posten des Kurators seiner Sammlung. Sie wurde im sogenannten Ferdinandsbau des Schlosses Köthen untergebracht. Dort befindet sich heute das Naumann-Museum.
Seit Oktober ist es zu. Nicht wegen der Corona-Pandemie, sondern wegen dringend notwendiger Baumaßnahmen. Laut Kulturstiftung Sachsen-Anhalt geht es um die statische Sicherung der Dachkonstruktion des Ferdinandsbaus und um die Sanierung von tragenden Wänden. 940 000 Euro seien für das gesamte Projekt veranschlagt, die Hälfte der Kosten trage die Stiftung.
„An sämtlichen Elementen der Tragkonstruktion sind starke Substanzverluste und Rissbildungen zu verzeichnen“, sagt Stiftungs-Sprecherin Eta Erlhofer-Helten. Nach einer Dachsanierung in den 1990er Jahren sei die ehemalige Dacheindeckung nicht ordnungsgemäß entsorgt worden und liege immer noch auf dem Dachboden. „Der Bauschutt soll nun entfernt, die marode Dachkonstruktion ertüchtigt und der bereits detektierte Hausschwamm bekämpft werden“, so Erlhofer-Helten. Da das Naumann-Museum im Dachgeschoss untergebracht ist, muss laut Köthen Kultur und Marketing GmbH die gesamte Sammlung und Ausstellung für den Sanierungszeitraum ausgelagert werden. Den eigentlichen Umzug werde eine auf Kunsttransporte spezialisierte Spedition übernehmen, denn vor allem der Transport der historischen Vitrinen sei eine logistische Herausforderung. Bis Ende 2022 sollen nach jetzigem Stand die Arbeiten abgeschlossen sein. Die Sonderschau kann nur digital präsentiert werden.