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Premiere am Puppentheater Duell mit dem Boandlkramer

Mit dem urbayerischen Kultstoff vom Brandner Kasper ist dem Magdeburger Puppentheater ein Volltreffer gelungen.

Von Klaus-Peter Voigt 20.06.2024, 23:17
Szene aus „Brandner Kaspar“ am Puppentheater Magdeburg. Das Schauspiel galt auch als Lieblingsstück von Franz Josef Strauß. In einer Münchner Inszenierung soll der damalige CSU-Chef siebenmal gesehen worden sein.
Szene aus „Brandner Kaspar“ am Puppentheater Magdeburg. Das Schauspiel galt auch als Lieblingsstück von Franz Josef Strauß. In einer Münchner Inszenierung soll der damalige CSU-Chef siebenmal gesehen worden sein. Foto: Anjeliq Conrad

Magdeburg/VS. - Mit dem urbayerischen Kultstoff vom Brandner Kasper hat das Magdeburger Puppentheater wieder alle Register gezogen. Das auf eine Mundarterzählung Franz von Kobells in der Theaterfassung von Kurt Wilhelm basierende Stück hat mehr als 150 Jahre nach seinem Erscheinen nichts an Lebendigkeit verloren. „Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ scheint für das traditionsreiche Hofspektakel wie geschaffen. Für das Publikum war der Premierenabend rundum gelungen.

18 Jahre extra

Worum es geht, lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen. Ein 72-jähriger lebenslustiger Jagdgehilfe soll in den Himmel abberufen werden. Als der Schuss auf einen Hirsch den Kaspar knapp verfehlt, muss der Sensenmann – im Bayrischen der Boandlkramer – handeln und versucht im Guten, seinen Klienten zum Mitkommen zu bewegen. Der sieht das nicht ein und legt den Tod trickreich herein. Beim Kartenspiel und Kirschgeistsaufen besiegt ihn der Clevere und handelt weitere 18 Lebensjahre auf Erden heraus. Erst dann soll das Schlitzohr durch die Himmelspforte spazieren.

Wie bringt man das Flair der Alpen ins flache Land? Die Inszenierung schafft das mit jeder Menge toller Ideen und einem rundum gelungen Bühnenbild. Jeannine Cleemen und Regisseur Stefan Wey setzen auf so etwas wie spartanische Opulenz. Alles ist stimmig, nichts wirkt überladen, viele Teile der Dekoration überraschen mit unerwarteten Funktionen. Als „Vorhang“ dient eine riesige grüne Wand, die auch bespielt werden kann. Auf ihr tummelt sich eine Jagdgesellschaft, geben Dorfbewohner gekonnt einen Jodler und durch eine geöffnete Klappe wird der Blick in den Kuhstall freigegeben. Die prächtigen und in sich stimmigen Kostüme von Gisa Kuhn runden das Gesamtbild ab. So können sich die Augen nicht sattsehen.

Einfügung im Berliner Dialekt

Einzig der Einfall, die Brandner-Geschichte als Bestandteil einer Fernsehinszenierung darzustellen, scheint weniger gelungen. Der oft zwischen einzelnen Szenen auftauchende Aufnahmeleiter (Richard Barborka) agiert spielerisch im Sinne der Regie mit seinem Berliner Dialekt durchaus ordentlich, doch der Sinn einer solchen Einfügung in den Bühnenklassiker erschließt sich nur schwer. Sie reißt oft die einzelnen Bilder durch die Ansprache des Publikums, wie es sich verhalten solle, auseinander.

Den Spielern gelingt der bairische Dialekt authentisch, alle Akteure gehen in ihren Rollen auf, leisten durch Kostümwechsel Beachtliches. Anna Wiesemeier steht als Bürgermeister Senftl ihren Mann, gibt überzeugend ein bayerisches Urgestein mit Bart und Bierbauch. Als Kaspars Enkelin Marei spielt Luisa Grüning eine junge, lebenslustige Frau, die weiß, was sie will. In der Titelrolle steht Lennart Morgenstern auf der Bühne. Ihm gelingen die Dispute mit dem Knochensammler glaubhaft. Der Boandlkramer hat keine Chance. Die lebensgroße Puppe von Christian Werdin führt und spricht Freda Winter, der zwei Kollegen zur Seite stehen. Die schwarzgekleidete Figur mit dünnen Beinen und weißer Haut entspricht den landläufigen Vorstellungen vom Gevatter Tod.

Allerdings hat sich der Brandner Kaspar zu früh über seinen Sieg gefreut. Durch einen saudummen Zufall fliegt der Schwindel in der Buchhaltung an der Himmelspforte auf. Der Portner – also Petrus – will vom Boandlkramer wissen, was damals geschah. Kleinlaut räumt der ein, dass er beim Kartenspiel beschissen wurde, nimmt alle Schuld auf sich. Wie soll man die Sache geradebiegen, ohne ein Versprechen brechen zu müssen. So bietet er dem Alten an, „auf a Stündl“ mit ihm ins Paradies zu schauen, wo nach einem Steinschlag in den Bergen seine Enkelin bereits eingetroffen ist. Für die Reise in den Himmel entsteht vor den Augen der Zuschauer ein besonderes Gefährt mit Flügeln und Rädern, gezogen von einem Pferd. Für das verrückte Konstrukt gab’s sogar Szenenapplaus. Petrus und seine Mitstreiter wie der Erzengel Michael agieren auf riesenhaften, goldenen Kegeln, geben aus luftiger Höhe ihre Kommentare ab. Als Erlebnis für den Zuschauer erweist sich diese Darstellung alleine. Von solchen Details aus der künstlerischen Trickkiste lebt die gesamte Inszenierung.

Brandner geht vorzeitig

Dem Brandner Kasper gefällt es zwischen all den Engeln und bei den schon dort lebenden Familienmitgliedern so gut, dass er beschließt, schon vor der ausgehandelten Zeit dort zu bleiben. Jedoch steht dem sein umfangreiches Sündenregister entgegen und lässt eigentlich nur das Fegefeuer als Alternative zu. Doch Ende gut, alles gut. Die Himmelsoberen lassen Gnade walten und Petrus berichtet von einer Entscheidung der heiligen Dreieinigkeit. Die hätten so viel gelacht, als sie vom pfiffigen Kaspar erfuhren, der den Tod überlistete. So darf das Schlitzohr bleiben.