1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Regionale Kultur
  6. >
  7. Inszenierung von Shakespeares „Timo von Athen“ im Schauspiel Magdeburg

Der Weg zum Menschenhasser Inszenierung von Shakespeares „Timo von Athen“ im Schauspiel Magdeburg

Andreas Kriegenburg inszeniert Shakespeares „Timo von Athen“ im Schauspiel Magdeburg. Am Ort seines Laufbahnbeginns gelingt ihm ein Riesenerfolg.

Von Rolf-Dietmar Schmidt Aktualisiert: 15.06.2024, 12:45
Szene aus „Timon von Athen“ in Andreas Kriegenburgs Inszenierung am Theater Magdeburg.
Szene aus „Timon von Athen“ in Andreas Kriegenburgs Inszenierung am Theater Magdeburg. Foto: Katrin Ribbe

Magdeburg/VS - Der „Timon von Athen“ ist eines der eher selten inszenierten Dramen von William Shakespeare. Regisseur Andreas Kriegenburg machte sich für das Magdeburger Schauspielhaus an diese schwierige Aufgabe und erntete am Donnerstagabend (13.6.24) stürmische Ovationen für ein Schauspiel der Sonderklasse.

Vermutlich wäre es völlig egal gewesen, welches Stück Andreas Kriegenburg in seiner Heimatstadt auf die Bühne bringt. Das Publikum wäre in jedem Fall zum Spielort geströmt, denn der in Magdeburg geborene und aufgewachsene 60-Jährige gehört zu den bedeutendsten und gefragtesten Regisseuren in Deutschland. In der Elbestadt hat er die ersten Theatererfahrungen als Bühnenbauer gemacht, bevor es ihn in die weite Welt zog.

Keine einfache Geschichte

Jetzt ist er mit dem Athener Timon aus der Feder William Shakespeares zurückgekehrt und hat mit seiner Inszenierung sofort große Pflöcke eingeschlagen.

Man könnte meinen, dass die Geschichte einfach ist. Der Senator Timon von Athen verfügt über unerhörten Reichtum. Als Philanthrop macht er der Weltanschauung des Menschenfreundes alle Ehre. Er überhäuft seine angeblichen Freunde mit Festen und Geschenken, kauft, was immer sie ihm anbieten und ist ungeheuer beliebt. Warnungen seines Verwalters überhört er geflissentlich.Doch irgendwann ist der Reichtum aufgebraucht. Timon von Athen ist sich sicher, dass er auf die Hilfe seiner Freunde zählen kann. Doch da irrt er sich.

Das hinterlässt Spuren, denn völlig verarmt im Wald hausend, wandelt sich der Menschenfreund in einen Menschenhasser. Auch, als er auf einen Goldschatz stößt, nun wieder unglaublich reich ist, nutzt er das nur für seine Rache.

Starke Authentizität

Shakespeare verzichtet in dem Stück an vielen Stellen auf logische Abfolgen. Woher stammt der Reichtum? Unter welchen Umständen findet er den Goldschatz im Wald? Solche und viele andere Details blendet der Autor aus. Aber Shakespeare war immer ein sehr filigraner Geschichtenschreiber, der selbst bei verworrensten Handlungssträngen motivische Feinarbeit leistete. Man kann also davon ausgehen, dass er in diesem Stück die scheinbar übergangslose Schwarz-Weiß-Wandlung, also vom Philanthropen zum Misanthropen, nicht ohne Absicht so vereinfacht vollzogen hat.

Andreas Kriegenburg hat in seiner Inszenierung diese harten Übergänge nicht kaschiert, sondern offen, meist humorvoll, in den Raum gestellt und damit eine starke Authentizität erreicht.

Überzeugende Leistungen

Eine überaus glückliche Hand hatte er auch bei der Besetzung. Allen voran die Protagonisten Rainer Frank als Timon und Marie-Joelle Blazejewski als der zynische Philosoph Apemantus. Beide bieten eine schauspielerisch so überzeugende Leistung, dass einem der Atem stockte.

Insbesondere die Rolle des Timon stellt extreme Anforderungen. Die Wandlung des scheinbar von Naivität geschlagenen Senators, der höchstes Glück darin sieht, andere glücklich zu machen, zum menschenhassenden Monster, dem die schrecklichsten Verbrechen zur Vernichtung von Menschen recht sind, erfordert enormes Wandlungsvermögen. Auch die übrigen Rollen, wie die des Dichters Ventidius durch Anton Andreew, Luise Hart als Dienerin und Kurtisane, Niklas Hummel als Lucilius, Philipp Kronenberg in der Rolle des Lucullus, Nico Link als Lucius, ein Senator, gespielt von Oktay Önder, Michael Ruchter als Alkibiades, Bettina Schneider in der schwierigen Rolle der Haushofmeisterin oder Isabel Will als exaltierte Juwelierin, waren nicht nur herausfordernd, sondern verlangten ebenso sehr viel schauspielerische Präsenz.

Als jemand, der seine Laufbahn mit dem Bühnenbau in Magdeburg begonnen hat, ließ sich Andreas Kriegenburg auch die Gestaltung der Bühne nicht aus der Hand nehmen.

Nicht ganz stilecht mit der französischen Lilie auf royalem Rot waren alle Wände verkleidet und bildeten so einen Raum, der trotz äußerster Minimalität einen überaus festlichen Rahmen darstellte. Der ganze Gegensatz dazu waren die aufgehängten, sich bewegenden Holzbalken im zweiten Teil des Stücks, in dem Timon, beschmiert mit schwarzem Schlamm, seinen menschenfeindlichen Phantasien freien Lauf lässt. Die ständig bewegten Balken standen eindrucksvoll für die Symbolik, dass nichts mehr Halt und Beständigkeit aufweist.

Ein Theatererlebnis

Der „Timon von Athen“ in dieser Inszenierung ist ein Theatererlebnis, das man nicht verpassen sollte. Und die Tatsache, dass man mit sehr vielen Fragen zum Menschsein, zur unseligen Rolle des Geldes, zu Freundschaft und Gier ohne Antwort nach Hause geht, ist kein Nachteil, sondern die Stärke des Stücks.