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Umwelt Natur: Die leise Invasion der gebietsfremden Arten

Seit fünf Jahren schaut Diplombiologin Antje Kautzner genau hin, welche Tiere und Pflanzen nicht nach Sachsen-Anhalt gehören, die eingeschleppt oder mitgebracht wurden und sich mehr oder weniger rasant ausbreiten. Einige von ihnen machen der heimischen Flora und Fauna reichlich zu schaffen.

Von Bernd Kaufholz Aktualisiert: 10.08.2021, 09:33
Alle in Europa vorkommenden Waschbären gehen auf Tiere zurück, die im 20. Jahrhundert aus Pelztierfarmen und Gehegen entkamen oder ausgesetzt wurden.
Alle in Europa vorkommenden Waschbären gehen auf Tiere zurück, die im 20. Jahrhundert aus Pelztierfarmen und Gehegen entkamen oder ausgesetzt wurden. picture alliance/dpa

Halle - Antje Kautzner muss nicht weit laufen, um das Exemplar eines sogenannten invasiven Neophyten, also einer gebietsfremden Pflanze, zu zeigen. Im Hof ihrer Arbeitsstelle, dem Landesamt für Umweltschutz in Halle, hat es sich eine Robinie gemütlich gemacht – direkt unter einer Eiche. „Die Art stammt aus Nordamerika und wird überall in Europa seit fast 400 Jahren in Parks und Gärten gepflanzt. Sie wächst inzwischen auch wild“, sagt die Diplombiologin, die als Dezernentin unter anderem dafür zuständig ist, gebietsfremde Arten zu beobachten und aufzulisten.

Exotische Ameisen sind auf dem Vormarsch

Antje Kautzner, Diplombiologin

Dass sich Pflanzen und Tiere in unseren Gestaden ausbreiten, die ihren Ursprungsstandort Tausende von Kilometern entfernt haben, sei keine neue Erkenntnis, sagt sie. „Das begann schon nach der letzten Eiszeit, als Kulturpflanzen und Nutztiere bewusst nach Zentraleuropa gebracht wurden und hier neue Lebensräume fanden“, weiß die 35-Jährige. „Hinzu kam, dass im Saatgut hin und wieder auch blinde Passagiere mitreisten, wie die Kornrade.“ Ein pinkfarbenes Nelkengewächs mit Ursprung im Mittelmeerraum, das jedoch inzwischen auf Sachsen-Anhalts Äckern sehr selten geworden ist. „Die giftige Kornrade wurde einst bekämpft, damit sie nicht ins Brot gelangt. Heute ist sie durch die intensive Landwirtschaft stark in ihrem Bestand gefährdet.“

Eine Gruppe der Fremdlinge bezeichnet die Biologie als Neophyten, Pflanzenarten, die vor 1492, als Christoph Kolumbus Amerika entdeckt hat, durch direkten oder indirekten menschlichen Einfluss in ein neues Gebiet eingeführt wurden und sich dort selbstständig ohne fremde Hilfe fortgepflanzt haben. „Hintergrund ist, dass die Ozeane als natürliche Barrieren wegfielen“, so die Fachfrau.

Pflanzen und Tiere gelangten über die Handelsrouten nach Europa, wurden zuerst in botanischen Gärten und Parks angepflanzt und ausgebracht, bevor sie sich auch in der freien Natur verselbstständigten.

Der aktuelle Trend betreffe im Tierreich auffällig den Bereich der Wirbellosen. „Inzwischen finden immer mehr Menschen Freude daran, exotische Ameisen in sogenannten Tropenterrarien zu halten. Da entkommt natürlich auch das eine oder andere Exemplar.“

Zu diesem Kapitel gehöre auch die Sache mit den Marmorkrebsen. „Wohl, weil sie Aquarianern lästig und ausgesetzt wurden. Seitdem vermehren sie sich auch außerhalb ihrer Glaskästen.“

Sachsen-Anhalt sei kein weißer Fleck, wenn es um Pflanzen und Tiere gehe, deren Ursprungsland nicht unsere Region ist, weiß kaum jemand besser als Kautzner. Der Info-Kasten listet Arten auf, die unter die seit 2015 geführte EU-Verordnung mit dem sperrigen Titel „über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten“ fallen. „Das sind allerdings lange nicht alle Tiere und Pflanzen, die bei uns eingewandert sind“, sagt die Biologin. Zu den Pflanzen, die der Dezernentin Sorgenfalten auf die Stirne zeichnen, gehört die Gelbe Scheinkalla, die in Nordamerika zu Hause ist. „Die Pflanze hat sich im Harz angesiedelt und dringt auch in Weichholzauen vor. Die Untere Naturschutzbehörde hat versucht, der Lage Herr zu werden und ist ganz gut vorangekommen, obwohl es an manchen Stellen nicht einfach ist, die Scheinkalla zu erreichen.“

Die Gelbblühende Orientalische Zackenschote gilt ebenfalls als gefährlicher Einwanderer. „Die Pflanze, die wohl bereits im 17. Jahrhundert in unsere Breiten eingeschleppt wurde, bereitet Probleme beim Hochwasserschutz. Sie kann die Stabilität von Deichen verringern“, sagt die Dezernentin vom Umweltamt.

Auch der Japanische Staudenknöterich ist der Wasserwirtschaft ein Dorn im Auge. Er wächst an Flussufern, wird beim Hochwasser weggeschwemmt und es kommt zur Bodenerosion.

Eine schmerzhafte Begegnung mit dem Riesen-Bärenklau, einem Einwanderer aus dem Kaukasus, hatten schon viele Menschen. „Kommt man mit dem Saft in Berührung und ist danach der Sonne ausgesetzt, kann es selbst noch Tage später zu extremem Sonnenbrand mit Bläschenbildung kommen.“

Der Asiatische Laubholzbockkäfer, der in Magdeburg festgestellt wurde, kam wohl als blinder Passagier im Palettenholz für den Handel.

Der Tourismus spiele inzwischen auch eine Rolle bei der „Umsiedlung“ hauptsächlich von Pflanzen: „Gepäck, Kleidung, Schuhe sind dabei die unbeabsichtigten Transportmittel“, so Kautzner. „Seltener ist hingegen, dass Pflanzen oder Samen bewusst eingeführt werden, um damit den Garten zu bepflanzen.

Ich gehe mit der Situation eher pragmatisch um

Antje Kautzner, Artenüberwacherin

Gebietsfremde Arten als lautlose Invasion und Verdränger einheimischer Natur? „Ich gehe damit eher pragmatisch um“, sagt die Expertin für tierische und pflanzliche Einwanderer. Allerdings sollte man die Einwanderung nicht befördern. Weil man nie weiß, wo die Reise hingeht.

Sie zieht die 10-Prozent-Daumenregel heran. „Zehn Prozent der fremden Arten schaffen es, sich zumindest zeitweise in dem neuen Areal anzusiedeln. Davon zehn Prozent können sich etablieren und davon zehn Prozent – also ein Promille der Einwanderer – werden problematisch.“

Diplombiologin Antje Kautzner zeigt eine Robinie, die unter einem einheimischen Baum ? einer Eiche ? wächst. Robinien kamen vor etwa 400 Jahren nach Europa.
Diplombiologin Antje Kautzner zeigt eine Robinie, die unter einem einheimischen Baum ? einer Eiche ? wächst. Robinien kamen vor etwa 400 Jahren nach Europa.
Foto: Bernd Kaufholz

Oft werde die Verdrängung heimischer Flora und Fauna erst nach Jahren deutlich. Nach jahrelanger Ruhephase könne die Population der Fremdlinge regelrecht explodieren und die angestammte Pflanzen- und Tierwelt schädigen. „Gebietsfremde Arten sollten nicht eingeführt werden, weil man möglicherweise später eine Menge Geld verbrennen muss, um sie wieder loszuwerden und die Erfolgschancen bei manchen Arten nicht besonders hoch sind.“ Auch ein Handelsverbot für Risikoarten befürwortet sie. „Da ist die Politik gefragt.“

Wie die Spätblühende Traubenkirsche aus Nordamerika, die bevorzugt auf feucht-nassen Böden wächst und vor allem in Auwäldern in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt in lichten Eichen- und Eichen-Kiefer-Wäldern verbreitet ist. In Sachsen-Anhalt ist vorrangig der Norden und Osten betroffen. „Ihre Früchte sind attraktiv für Vögel, so dass sie schnell verbreitet werden. Sie nimmt im Wald viel Licht und stört die Kraut- und Strauchschicht. In den Niederlanden zum Beispiel wurden Millionen von Euro in die Hand genommen, um diese Pflanze zu bekämpfen“, sagt Kautzner.

Der Waschbär, als effektiver Beutegreifer, der sich von Vögeln, Fledermäusen und kleinen Amphibien ernährt und aus Nordamerika stammt, vermehrt sich in Sachsen-Anhalt massiv. Gegenwärtig gibt es rund 30 000 Tiere. „Das hat unter anderem zur Folge, dass eine recht große Graureiherkolonie am Hufeisensee in Halle beinahe ausgerottet ist.“ Meinung

Der Signalkrebs stammt aus Nordamerika. Er wurde zuerst 1960 in Schweden eingeführt, um die Krebsfischerei wiederzubeleben.
Der Signalkrebs stammt aus Nordamerika. Er wurde zuerst 1960 in Schweden eingeführt, um die Krebsfischerei wiederzubeleben.
picture-alliance/ dpa
Der Staudenknöterich stammt ursprünglich aus dem Kaukasus und ist in Europa und Nordamerika eine gebietsfremde Pflanze.
Der Staudenknöterich stammt ursprünglich aus dem Kaukasus und ist in Europa und Nordamerika eine gebietsfremde Pflanze.
picture alliance / Frank Reichel/Landwirtschaftskammer NRW/dpa-tmn
Die Berührung des Riesenbärenklaus in Verbindung mit Tageslicht kann zu schmerzhaften Quaddeln und Blasen führen.
Die Berührung des Riesenbärenklaus in Verbindung mit Tageslicht kann zu schmerzhaften Quaddeln und Blasen führen.
picture alliance / dpa
Die afrikanische Nilgans breitete sich ausgehend von Gefangenschaftsflüchtlingen, von den Niederlanden kommend,  in Mitteleuropa aus.
Die afrikanische Nilgans breitete sich ausgehend von Gefangenschaftsflüchtlingen, von den Niederlanden kommend, in Mitteleuropa aus.
Fotos (7) dpa
Der Götterbaum aus Vietnam und China breitet sich stark aus.
Der Götterbaum aus Vietnam und China breitet sich stark aus.
picture alliance/dpa
Das Gewöhnliche Greiskraut, ursprünglich in Eurasien und Nordafrika weit verbreitet, ist in Sachsen-Anhalt immer häufiger anzutreffen.
Das Gewöhnliche Greiskraut, ursprünglich in Eurasien und Nordafrika weit verbreitet, ist in Sachsen-Anhalt immer häufiger anzutreffen.
picture-alliance/ dpa